Autor: Mara Jade
Beta: Callie (Danke für die Tipps und Anregungen)
Rating: FSK 12
Genre: Romanze (Action)
Pairing: Marta Shearing und Aaaron Cross
Banner: Promotionbild

Disclaimer: Alles nur ausgeliehen: Alle Rechte an dem Film und der Buchreihe, ihre Charaktere und Handlungsstränge gehören der Produktionsfirma Universal Pictures, sowie dem Autoren der Serie (Robert Ludlum, Eric Van Lustbader)
Die Story und die nicht in dem Film erwähnten Personen und Orte sind meiner Fantasie entsprungen. Mögliche Ähnlichkeiten mit lebenden Menschen oder realen Ereignissen sind reiner Zufall und nicht von mir beabsichtigt!!!

Diese Geschichte ist nicht für die freie Verbreitung im Netz vorgesehen. Sollte jemand Interesse daran haben diese Story auf anderen Seiten zu posten oder zu verlinken, bitte vorher bei mir melden!

 

 

 

 

 

No more

 

 

1. Kapitel

 

Ich wusste noch immer nicht, wie ich in diese Situation geraten war, aber Fakt war, dass ich mich zusammen mit Aaron Cross, einem genmanipulierten Outcome-Agent, auf der Flucht befand. Für mich fing alles vor fünf Tagen an, als mein Kollege und Freund, Dr. Donald Foite, aus scheinbar unerklärlichen Gründen in unserem Labor, Amok lief. Noch immer konnte ich mir sein Handeln nicht erklären, aber ich war mir mittlerweile sicher, dass auch er mit Pillen aus unseren Forschungs-Projekten manipuliert worden war. Jedenfalls war ich, Dr. Marta Shearing, die einzige Überlebende und als kurz darauf der CIA bei mir aufkreuzte und versuchte mich zu ermorden, tauchte Cross auf und rettete mich. Seitdem befanden wir uns auf der Flucht. Dabei kann ich noch nicht einmal mit Bestimmtheit sagen, vor wem genau wir fliehen. Denn genau genommen sind es viele. Mein ehemaliger Arbeitgeber Treadstone, der CIA, eine Geheimorganisation mit Namen NRAG und einem Wahnsinnigen, der egal was wir anstellten, immer noch auf seinem Motorrad saß und hinter uns her jagte.

Gerade eben erst hatte ich ihm meinen Helm entgegen geschleudert, aber außer dass es mich beinah vom Motorrad gerissen hätte, hatte es bei ihm nur wenig Erfolg gezeigt. Allerdings war er dadurch etwas zurück gefallen, was uns einen winzigen Vorsprung einbrachte. Doch so langsam lief uns die Zeit davon. Aaron war verletzt. Ich wusste noch nicht wie schlimm es war, aber so wie die Wunde an seinem Bein blutete, schien eine Arterie verletzt zu sein. Eine weitere Kugel hatte ihn an der Schulter getroffen, auch hier sickerte viel zu viel Blut durch seine Lederjacke und er lenkte unser Bike zeitweilig nur noch mit einer Hand. Vorsichtig legte ich meine Hand auf seine Beinwunde und versuchte durch Druck wenigstens den Blutverlust abzuschwächen, aber ich wusste, dass ich das abbinden musste, sonst war es wohl nur eine Frage der Zeit bis er zusammenbrach.

Aus dem Augenwinkel bemerkte ich wie unser Verfolger wieder näher kam. Mein Herz schlug mir vor Angst bis zum Hals und genau in dem Moment, wo er ein weiteres Mal zu uns aufschloss, legte sich Aarons Hand auf meine und drückte sie. Das war glaube ich der Moment wo mir klar wurde, dass ich mich jetzt nicht mehr auf meinen starken Krieger verlassen konnte, sondern selbst tätig werden musste. Also hob ich mein Bein, winkelte es an, unser Motorrad schlingerte, doch noch hatte Aaron genug Kraft gegen zu steuern. Meine Muskeln spannten sich an und dann, als der Bastard nah genug war, trat ich mit aller Kraft, die mir noch zur Verfügung stand, zu.

Zuerst dachte ich mein Tritt hätte nichts bewirkt, doch dann sah ich wie sein Motorrad schwankte und letztendlich gegen einen Betonpfeiler stieß. Es gab ein hässliches Geräusch, als sich sein Bike mehrfach überschlug. Völlig von dem Geschehen gebannt, sah ich ihn durch die Luft fliegen. Und als er auf dem Boden aufschlug und sich dort ebenfalls noch ein paarmal überschlug, da wusste ich dass dieser Spuk hier und jetzt beendet war.

Aufatmend drehte ich mich wieder zu Aaron um, doch mir blieb keine Zeit ihm die gute Nachricht mitzuteilen. Das Ende der Halle kam immer näher und Aaron schien in keiner guten Verfassung.

„Aaron, Aaron, Aaron!“, rief ich gegen den Fahrtwind an.

Aber noch immer bewegte er sich nicht und es waren nur noch wenige Meter. Mir blieb keine Zeit mehr, ich musste handeln und das Motorrad zum Halten bringen, die Frage war nur wie. Panisch suchte ich nach einer Lösung, aber die Angst lähmte mein Gehirn, so dass mir die rettende Idee fast zu spät kam.

Ich schlang meine Arme noch fester um seine Hüften und ließ mich zusammen mit ihm zur Seite fallen. In dem Moment als unsere Körper auf dem Boden aufschlugen, das Motorrad mit einem Kreischen von Stahl auf Beton sich von uns wegbewegte und das Ende der Halle unaufhaltsam näher rückte, verlor ich Aaron aus meinem Griff. Wir rollten und schlitterten getrennt über den Boden, bis wir endlich an Schwung verloren und zum Halten kamen.

~~~***~~~



Er hörte Marta schreien, aber es war ihm einfach nicht mehr möglich rechtzeitig zu reagieren. Sein Gesichtsfeld wurde aufgrund des Blutverlustes immer kleiner und er sah nur noch verschwommen. Er hatte ihr zwar gesagt, dass es nicht so schlimm war, aber das war zu ihrer Beruhigung gewesen. Lange würde er nicht mehr durchhalten und die wenige Kraft die er noch hatte, brauchte er um das Bike im Gleichgewicht zu halten. Aaron spürte wie sich ihre Arme fest um seine Taille legten, ihn auf dem Motorrad hielten und stabilisierten, während sein Sicht immer dunkler wurde. Das letzte, dass er mitbekam, war das ihm Flügel wuchsen und….. er flog.

~~~***~~~



Schmerz war das erste was ich wahrnahm. Schmerzen in den Beinen, meinem Rücken. Mühsam sortierte ich meine Knochen und zog eine erste Bilanz. Alles tat weh, aber alles ließ sich bewegen, gebrochen war scheinbar nichts, aber Morgen würde mein ganzer Körper blau und grün sein. Als ich neben mir ein Stöhnen vernahm, schlug die Angst um Aaron zu und so schnell es mein schmerzender Körper zuließ, drehte ich mich zu ihm um und sah in seine stahlgrauen, vom Schmerz verschleierten Augen.

„Alles in Ordnung?“, fragte ich und griff nach seiner Hand die er mir entgegenstreckte. Sein Griff war warm und fest, aber das Nicken, das er mir schenkte, reichte mir nicht als Antwort. Also verstärkte ich den Druck auf seine Hand und versuchte ich es noch einmal.

„Alles Okay?“ Stöhnend schaffte ich es endlich mich aufzusetzen und sah ihn abwartend an.

„Ja“, kam seine leise, krächzende Antwort, dann fielen ihm die Augen zu.

Mein Blick wanderte zu seiner Beinverletzung, die noch immer stark blutete. Nur widerwillig ließ ich seine Hand los, zog mit zitternden Händen meine Jacke aus und versuchte einen Ärmel abzureißen. Scheiterte aber kläglich, weil mir einfach die Kraft fehlte. Stöhnend erhob ich mich auf die Knie und band ihm kurzerhand die ganze Jacke um das Bein, in der Hoffnung damit die Blutung zu verlangsamen, dann erst bemerkte ich, dass wir nicht mehr alleine waren. Ein kleiner einheimischer Junge und ein älterer Mann, standen nur wenige Meter von uns entfernt und beobachteten misstrauisch die Szene.

Ängstlich griff ich wieder nach Aarons Hand, aber diesmal konnte ich keinen Gegendruck spüren. Beunruhigt zog ich seinen Kopf auf meinem Schoss und legte meine andere Hand auf sein Herz. Es schlug, aber unregelmäßig. Er brauchte Hilfe und zwar sofort.

„Können Sie uns helfen?“, rief ich den beiden auf Englisch zu und hoffte von ganzen Herzen, dass sie die wenigen Worte verstehen würden. Mit einem Mal bemerkte ich wie zittrig ich mich fühlte. Der Überfall im Labor, mein in die Luft geflogenes Haus, unsere Flucht, die Jagd auf uns… war das wirklich alles in den letzten fünf Tage passiert?

Noch immer hatten sich die Beiden nicht bewegt und im Hintergrund hörte ich schon die Polizei Sirenen. Wir mussten hier weg, aber Aaron würde in den nächsten Tagen keinen Schritt machen können.

„Bitte!“, versuchte ich es wieder und mein Blick verschleierte sich. All die aufgestauten Gefühle, meine Sorge um Aaron, all das schlug über mir zusammen und ich konnte die Tränen nicht mehr zurück halten.

Scheinbar war das der ausschlaggebende Punkt, jedenfalls sah ich den Mann nicken, dann rief er etwas über seine Schulter und kam auf uns zu. Zwischen meinen Tränen sah ich jetzt auch drei weitere Männer, mit einem Stück Plane oder ähnlichem auf uns zukommen.

~~~***~~~



Wie sich herausgestellt hatte, waren unsere Retter Fischer, die grade zu einer mehrwöchigen Tour aufbrechen wollten. Mittlerweile befanden wir uns schon weit außerhalb der Hoheitsrechte Manilas, auf dem offenen Meer. Der Kapitän des Schiffes, das meines Erachtens nur noch vom Rost zusammen gehalten wurde, hatte uns die einzige Kabine zur Verfügung gestellt, die das Schiff aufzuweisen hatte.

Dankbar sah ich zu, wie sie Aaron von der Segeltuchplane auf die Koje legten. Noch immer schien er nicht zu Bewusstsein gekommen zu sein. Endlich konnte ich mich nützlich machen. Ich wischte mir die Tränen aus den Augen und sah den Kapitän fest in die Augen.

„Ich brauche Wasser und Verbandszeug.“

Als ich sah, dass er mich nur verständnislos ansah, beschränkte ich meine Wortwahl auf das wesentliche.

„Wasser, Verband?“, fragte ich und deutete dabei auf meinem verletzten Freund.

Der kleine Junge nickte mir zu und schenkte mir ein schiefes Lächeln. „Ich holen“, kam es von ihm, in einem gebrochenen Englisch und schon flitzte er aus dem Raum. Wenig später kam er mit einer großen Schüssel, ein paar Tüchern, die er unter seinem Arm geklemmt trug und der Bordapotheke wieder.

Schweigend machte ich mich an die Arbeit und bis auf den Jungen, leerte sich unser Raum. Mit Aarons Messer, das ich an seinem Fußknöchel fand, schnitt ich ihm die Jeans vom Körper. Dann sah ich zum ersten Mal das ganze Ausmaß der Verletzung und schloss zweifelnd die Augen. Ich war Wissenschaftlerin und keine Humanmedizinerin. Ich hoffte nur, dass meine wagen Kenntnisse dafür ausreichten.

Die Kugel war links oben in den Oberschenkel eingedrungen und gut 15 Zentimeter tiefer auf der Innenseite wieder ausgetreten. Durch den Druckverband, den ich mit meiner Jacke noch an Ort und Stelle angelegt hatte, war die Blutung größtenteils zum Stillstand gekommen. Wahrscheinlich war die Aorta nur minimal verletzt worden und hatte sich durch die Gerinnung wieder geschlossen, sonst wäre er bis jetzt schon verblutet.

Als ich einen Lappen ins Wasser tauchte und die beiden Wunden an Aarons Bein auswusch, spürte ich wie der Junge mich genau beobachtete. Mit meinem Kopf winkte ich ihn zu mir.

„Wie heißt du?“, fragte ich und schenkte ihm ein kurzes Lächeln.

„Niran“, kam es zögerlich von ihm, aber er konnte seinen Blick nicht von Aaron abwenden. „Seid ihr Böse?“

Seine Frage kam völlig unvorbereitet für mich. „Nein, nein, wir sind nicht böse. Wir werden verfolgt, aber wir haben nichts Böses getan.“ Völlig entnervt hielt ich inne und setzte mich zu Aaron aufs Bett. „Hast du das zweite Motorrad gesehen?“

„Das flog?“, fragte er zurück.

Ich grinste ihn an. „Genau das das flog. Das war ein böser Mann und der war hinter uns her.“ Die Antwort schien ihm zu reichen.

„Okay“, kam es von Niran. „Dann ist gut.“

„Ja, dann ist es gut.“ Wiederholte ich seinen Satz, stand auf und widmete mich wieder Aarons Verletzungen.

„Magst du mir helfen?“, fragte ich ihn und versuchte so sein Vertrauen zu gewinnen. Als er langsam auf mich zukam, unterbrach ich meine Arbeit erneut und gab ihm ein paar der Tücher in die Hand. „Auseinander reißen“, sagte ich und machte es ihm vor. Gott sei Dank war der Stoff schon fadenscheinig und gab schnell nach, kein Vergleich zu meiner Jacke. Mit einem kleinen Glucksen ließ Niran sich auf den Boden fallen und machte sich mit Feuereifer an seine Aufgabe.

Ich wandte mich wieder meinem Patienten zu. Die äußere Wunde war nur ein kleines Loch, das ohne weiteres verheilen würde, die Austrittswunde am inneren Schenkel war dagegen lang und ausgefranst. Wahrscheinlich wäre es besser diese zu nähen, aber ich hatte kein medizinisches Besteck und ich war mir sicher, dass die Fischer nur Netzflickzeug an Bord hatten. Also würde ich es auf einen Versuch ankommen lassen müssen und hoffte, dass auch diese Wunde mit der Zeit verheilen würde. Immerhin hatte ich es hier mit einem genmanipulierten Supersoldaten zu tun. Für irgendwas mussten die ganzen Versuche und Tests doch auch gut gewesen sein. Na ja, wir würden sehen. Was mir nach wie vor Sorgen machte war, dass ich nicht wusste ob die Kugel den Knochen gestreift hatte und was mit der Aorta war. Aber dieses Rätsel würde nur ein MRT klären und das hatte ich hier auch nicht zur Verfügung.

Nachdem ich Aarons Oberschenkel, so gut es mit den wenigen Medikamenten aus der kleinen Bordapotheke ging, gereinigt und versorgt hatte, machte ich mich daran auch seinen Oberkörper frei zu legen. Da die Verletzung an der Schulter nicht so schwer zu seinen schien, entschloss ich mich ihm die Jacke nicht zu zerschneiden, sondern sie mit Nirans Hilfe auszuziehen. Leider erwies sich unser Vorhaben als wenig realistisch, sodass ich zum Schluss doch noch das Messer zu Hilfe nehmen musste. Es war schade um die Jacke, aber ich wollte Aaron nicht unnötige Schmerzen zufügen. Ihm das graue T-Shirt über den Kopf zu ziehen, war dagegen schon fast lächerlich einfach.

Dann konnte ich mir endlich auch diese Verletzung ansehen. Die Kugel war nicht, wie ich zuerst angenommen hatte, in sein Schulterblatt eingedrungen, sondern hatte eine etwa 10 Zentimeter lange und einem Zentimeter tiefe Furche auf seiner Schulterkuppe hinterlassen. Es sah fast aus, als wäre das Fleisch sauber heraus geschält worden. Mit einem Seufzen reinigte ich auch diese Wunde und verband sie, was gar nicht so einfach war, da mir leider kein Pflaster zur Verfügung stand.

Auch seine Hände hatte es bei unserem unfreiwilligen Rutsch über den Asphalt, schlimm erwischt und ich wusch ihm auch hier das Blut von den Gelenken. Da ich mit dem Verbandsmaterial etwas haushalten musste, entschied ich mich diese Wunden von der Luft trocknen zu lassen. Die Schürfwunden würden so schneller verheilen. Auch so wies sein Körper die eine oder andere Prellung auf, aber da ging es mir nicht besser. Zum Schluss überprüfte ich noch einmal seine Vitalwerte. Sein Puls war immer noch viel zu hoch, aber sein Herzschlag hatte sich wieder gefangen und ich fühlte sein Herz stark und regelmäßig unter meiner Hand schlagen.

Müde und mir plötzlich wieder all meiner schmerzenden Knochen bewusst, ließ ich mich auf den einzigen Stuhl fallen, den das Zimmer aufzuweisen hatte. Jetzt konnte ich sowieso nichts mehr für ihn tun, außer auf ihn aufzupassen. Wieder einmal. Seltsam, dasselbe hatte ich auch in den letzten zwei Tagen und Nächten für ihn getan. Ich hatte ihn versorgt, sein Fieber gekühlt, ihn gehalten, wenn er aus seinen Fieberträumen hoch geschreckt war und sich nicht orientieren konnte oder wenn er im Wahn um sich geschlagen hatte. Mehrmals in dieser Zeit hatte ich damit gerechnet ihn zu verlieren. Als das Fieber immer weiter stieg und er kaum noch ansprechbar war. Doch den Virus den ich ihm injiziert hatte, leistete ganze Arbeit. Als er endlich wieder aufwachte, war es immer noch Aaron, der mir das Leben rettete, dem ich in die Augen sah und der sich sogleich schon wieder zu einer halsbrecherischen Verfolgungsjagd über den Dächern von Manila aufmachte. In dieser Zeit war ich mir über meine Gefühle, die ich für Aaron hegte, klar geworden.

Dieser Mann den ich gerade einmal fünf Tage kannte, hatte mir den Kopf verdreht. Klar hatte ich ihn auch schon vorher gesehen, ihm Blut abgenommen oder sonstige Tests an ihm durchgeführt, aber richtig kennen gelernt hatte ich ihn erst in dieser kurzen gemeinsamen Zeit, die wir bisher hatten. Und eins wusste ich bestimmt. Ich würde ihn nicht mehr alleine lassen. Nicht heute und auch nicht in der Zukunft. Mein Leben war eh verwirkt. All meine Verwandten und Freunde dachten sowieso, dass ich bei dem Hausbrand ums Leben gekommen war. Es gab für mich in absehbarer Zeit kein Zurück mehr. Es gab nur noch Aaron.

Niran war mittlerweile mit seiner Arbeit fertig und stand wieder vor Aarons Bett und sah ihn an. Was der Junge an ihm so faszinierend fand, war mir unbegreiflich, aber vielleicht spürte er einfach die Einzigartigkeit die Aaren selbst noch in seiner Bewusstlosigkeit ausstrahlte. Plötzlich drehte Niran sich aufgeregt zu mir und strahlte mich an.

„Ich holen Decke“, teilte er mir mit und flitzte aus dem Raum.

Erst jetzt wurde mir bewusst das Aaron, mal abgesehen von den Verbänden und seiner Boxershorts, fast nackt auf dem Bett lag. Ein Grinsen schlich sich auf mein Gesicht, als ich seinen, trotz aller Verletzungen, wohlgeformten Körper betrachtete. Gerade die richtige Mischung von Muskeln und Masse, nicht so aufgepumpt wie viele Bodybuilder, sondern durch jahrelanges Training geformt. Breite Schultern, schmale Hüften, starke Arme. Als die Tür sich wieder öffnete, zuckte ich erwischt zusammen, was eigentlich völliger Blödsinn war, denn immer hin hatte ich Aaron schon mehrfach so gesehen.

„Decke“, sagte der Kleine in dem Moment. „Meine.“ Fügte er stolz hinzu und reichte mir eine von Motten durchfressene Leinendecke.

Dankbar nahm ich sie aus seinen Händen entgegen und legte sie sofort über meinen Patienten.

„Name?“, fragte Niran in dem Augenblick und deutete auf meinen Freund.

Erst jetzt fiel mir auf, dass wir uns unseren Rettern, noch nicht einmal vorgestellt hatten. Ich zeigte auf meine Brust und sagte langsam und deutlich, damit er es auch richtig verstand: „Marta!“ Dann zeigte ich auf Aaron und wiederholte die Prozedur.

„Aaron“, sprach mir das Kind nach und noch immer klebte sein Blick an ihm.

Gerade ging mir durch den Kopf was für ein wahninniges Glück wir doch hatten, dass wir diesem Kind und den Fischern begegnet waren, als von draußen eine rufende Stimme ertönte. Erschreckt zuckte Niran zusammen und rief nun ebenfalls etwas in seiner Landessprache. Dann schenkte er mir ein entschuldigendes Lächeln und verschwand aus der Kajüte.

Mit einem Stöhnen bückte ich mich zu Aarons Rucksack herunter, den ich die ganze Flucht über auf meinem Rücken getragen hatte. Als erstes viel mir die goldene Uhr in die Finger, die er dem Sicherheitschef in Manila abgenommen hatte. Ich wog das Gewicht in der Hand. Sie war bestimmt einiges Wert und würde uns noch gute Dienste leisten. Langsam ließ ich sie zurück ins Fach gleiten. Die 40.000 Dollar, die falschen Pässe und ID Karten, die ich aus seiner zerstörten Lederjacke genommen hatte, steckte ich dazu und alles zusammen verstaute ich unter seinem Bett. Dann versuchte ich es mir so gemütlich wie möglich auf dem harten Stuhl zu machen, nahm seine Hand wieder in meine und sah Aaron einfach nur beim Atmen zu. Beruhigt zu wissen, dass er überhaupt dazu noch in der Lage war. Schlafen wollte ich eigentlich nicht, aber irgendwann fielen mir dann doch die Augen zu.

~~~***~~~



Es tat weh, also lebte er. Das war eine ganz einfache Gleichung und an die hatte er sich auch schon vor Treadstone gehalten. Also machte er eine kleine Bestandsaufnahme und kam zu folgenden Schluss. Sein ganzer Körper schmerzte aber am eindringlichsten sein Bein und er spürte ein warmes Gewicht auf seiner Hand. Sein Bein, überlegte er. Es wollte ihm einfach nicht einfallen, was damit geschehen war. Krampfhaft versuchte er die losen Enden in seinem Kopf zusammen zufügen. Er war morgens alleine, nach seinen Fieberschüben, aufgewacht. Dann hatte er Martas Schrei gehört, die Verfolgungsjagd mit dem Motorrad und dann…. Wie immer wenn sein Gehirn schlagartig erwachte, schreckte sein Körper hoch und ging in Alarmbereitschaft über.

 

 

 

2. Kapitel

Bevor ich unsanft aus dem Schlaf gerissen wurde, spürte mein Unterbewusstsein schon, das sich etwas verändert hatte. Aaron, ging es mir durch den Kopf. Und richtig, er war aufgewacht und ich blickte in seine stahlgrauen Augen, doch scheinbar war er noch nicht richtig bei Bewusstsein. Jedenfalls schaute er sich hektisch in unserem kleinen Zimmer um und versuchte sich krampfhaft aufzusetzen. Das musste ich auf alle Fälle verhindern. Immerhin wollte ich nicht, dass die Aorta Verletzung wieder aufbrach und er mir doch noch unter den Fingern verblutete. Also packte ich ihn an der unverletzten Schulter und versuchte ihn zurück in die Kissen zu drücken.

„Sssshhttttt, Aaron nicht….Wir sind in Sicherheit.“

Noch immer sah er mich an, aber auch gleichzeitig durch mich hindurch. Mittlerweile lag ich schon fast ganz auf ihn. Trotz seinen Verletzungen und dem gerade überstandenen Fieber, war er immer noch sehr stark und ich hatte meine liebe Mühe mit ihm.

„Aaron bitte, bleib ruhig liegen.“

Als sein Körper sich wieder aufbäumte und für mich kaum noch zu halten war, verlor ich die Nerven. Ich löste eine Hand von ihm, ballte sie zur Faust und schmetterte sie ihm ins Gesicht. Sofort tat es mir leid und schon wieder schossen mir die Tränen in die Augen, aber er wurde ruhiger und schloss die Augen.

„Ich bin es Marta, wir sind in Sicherheit“, sagte ich mit zitternder Stimme und um einiges lauter, in der Hoffnung zu ihm durchzudringen.

Als er jetzt wieder die Augen öffnete, waren sie zwar immer noch schmerzverhangen, aber sein Blick wirkte klarer. Langsam zog ich mich von ihm herunter, immer noch bereit mich sofort wieder auf ihn zu stürzen, sollte das Theater weiter gehen.

„Marta?“, hörte ich ihn fragen und alleine seine Stimme zu hören versetzte mir einen kleinen Stich ins Herz.

„Ja, ich bin hier“, wisperte ich und zum zweiten Mal an diesem Tag ließ ich meinen Gefühlen freien Lauf.

„Hat dir schon mal einer gesagt, das du einen verdammt harten linken Harken hast?“, fragte er und rieb sich das Kinn. Seine Absicht war klar, er wollte mich zum Lächeln bringen, aber meine Nerven sprachen eine völlig andere Sprache. Ich war noch nicht soweit auf sein Necken einzugehen.

„Nicht weinen, ich schulde dir so viel.“ Jetzt war es seine Hand die meine streichelte. Seine Stimme die versuchte mich zu beruhigen.

Allein diese Worte sorgten dafür, dass ich noch heftiger schluchzen musste, denn mir war sofort klar, dass er das Virus damit meinte. Die Freiheit die ich ihm dadurch verschaffen hatte. Die Unabhängigkeit von den Medikamenten und letztendlich auch von den Personen die dahinter steckten. Wenn das viel war, dann fragte ich mich, was ich ihm nicht alles schuldete. Immerhin wäre ich schon lange tot, wenn er mich nicht immer wieder gerettet hätte. Als er wieder Anstalten machte sich aufzusetzen, fand ich meine Stimme wieder.

„Nein, bleib liegen“, sagte ich bestimmt und wischte mir mit einer fahrigen Bewegung die Tränen aus dem Gesicht.

Dann erzählte ich ihm von seinen Verletzungen, der Aorta, den verpassten Stunden und wo wir uns befanden. Danach entspannte er sich etwas und legte sich tatsächlich zurück.  

„Wie lange muss ich hier liegen bleiben“, fragte Aaron.

„Mhm, ich weiß nicht. Wie schnell ist damals deine Handverletzung verheilt? Als du das letzte Mal zur Kontrolle bei mir warst, konnte ich die Narbe kaum noch sehen.“

Meine Frage schien ihn ins Grübeln zu bringen und es dauerte ein paar Minuten bevor er mir wieder antwortete. „Zwischen der Verletzung und deiner Kontrolle lagen glaube ich zwei Monate.“

„Woww“, entfuhr es mir und sofort war die Wissenschaftlerin in mir erwacht. „Zwei Monate sagst du? Dabei sah man kaum noch etwas. Die Wunde machte auf mich den Anschein, als sei sie schon mindestens ein Jahr alt gewesen. Das ist erstaunlich.“ Mit einem nervösen Lachen fuhr ich mir über mein Gesicht. „Nein, du bist erstaunlich“, verbesserte ich mich.

„An mir ist nichts erstaunlich, das wart alles ihr, eure Versuche und eure Medikamente. Ihr habt mich erschaffen.“

So wie er das sagte, jagte es mir eine Gänsehaut über den Körper. Das hörte sich für mich nach Frankenstein an. So hatte ich das nicht geplant. Klar hatte ich an ihn und seinen Kameraden Test durchgeführt, aber die waren rein wissenschaftlicher Natur gewesen. Mehr hatte man mir nicht gesagt, aber wenn ich ehrlich zu mir war, ich hatte auch nicht gefragt. Ich wollte gar keine Information haben. Ich wollte nur forschen und das am lebenden Objekt. Oh mein Gott, wie krank war doch diese Welt und ich steckte mittendrin.

„Es tut mir leid.“ War alles was mir dazu einfallen wollte.

Aaron steckte wieder eine Hand nach mir aus. „Nein, nein, es ist gut so.“ Sein Daumen strich die ganze Zeit über meinen Handrücken. „Okay, auf diese Jagd, die sie auf uns machen, könnte ich verzichten, auch auf Kugeln in meinem Körper, aber auf die vermehrte Kraft, die Ausdauer und die Intelligenz……… Du weißt nicht wie ich davor war. Das Militär, Treadstone, sogar der CIA, ihr habt mir ein Leben gegeben. Ein Zuhause, etwas das ich vorher nicht kannte.“

Während ich seine Hand ergriff und sie mir gegen die Wange schmiegte, sprach er nachdenklich weiter.

„Nein, es ist wirklich gut so. Ich würde es gar nicht anders wollen.“

Sichtlich erschöpft schloss er die Augen und sein Anblick, wie er verletzt an Körper und Geist vor mir lag, ließ mich fast schon wieder losheulen, doch in dem Moment öffneten sich seine Augen wieder.

„Du hast meine Frage nicht beantwortet. Wie lange?“

„Ich weiß es nicht, aber ich denke mit zwei Tagen sollten wir auf der sicheren Seite sein.“ Während ich zu ihm sprach verzog sich mein Gesicht zu einer Grimasse der Unsicherheit. Das wiederum brachte Aaron zum lächeln. „Was?“, fragte ich ihn.

„Genauso hast du auch immer im Labor geschaut, wenn ich versucht habe, dir etwas aus meinen Leben zu erzählen. Wenn ich versucht habe die sexy Frau, in dem weißen Ärztekittel zu finden.“

„Mach dich nur lustig über mich“, meckerte ich, aber es war nur halbherzig. Ich war viel zu froh, dass ich ihn überhaupt noch lachen hören konnte.

„Also 48 Stunden still liegen. Das wird lang“, sagte er und wieder fielen ihm die Augen zu.

Ich schüttelte den Kopf und streichelte seine Hand. Was waren schon zwei Tage Ruhe? „Versuch zu schlafen. Ich hab leider nichts, was ich dir gegen die Schmerzen geben könnte. Die Bordapotheke war sehr spärlich.“

„Schmerzen sind okay, sie zeigen mir nur, dass ich noch lebe“, murmelte er mir mit geschlossenen Augen zu und ich konnte spüren, dass er schon kurz davor war einzuschlafen.

Als seine Atmung immer ruhiger wurde, sah ich mich in unserer Kajüte um. Hier gab es wirklich nur das eine Bett und den einen Stuhl. Mehr konnte der kleine Raum auch nicht aufbringen. Da ich aber nicht vorhatte Aaron die nächste Zeit alleine zu lassen, würde die Nacht für mich verdammt hart werden.

~~~***~~~

Die morgendlichen Sonnenstrahlen, die durch das kleine Bullauge vielen, weckten mich aus meiner unbequemen Schlafposition. Zuerst hatte ich versucht die Nacht auf dem Stuhl zu verbringen, aber spätestens nachdem ich zweimal beim Einschlafen, fast herunter gefallen war, hatte ich mich auf dem Boden vor Aarons Bett ausgestreckt. Mühsam sammelte ich meine schmerzenden Knochen ein und musste mir beim aufstehen auf die Lippen beißen, um nicht lauthals aufzustöhnen. Meine Beine protestierten und mein Rücken war ganz steif, von der unbequemen Haltung. Mein Körper war eine einzige Baustelle.

Ich presste beide Hände in den Rücken, dann beugte ich mich über meinen Patienten. Aaron schlief noch. Überhaupt hatte er eine gute Nacht gehabt, nur zweimal war er vor Schmerzen aufgewacht. Ich hatte ihm dann nur etwas zu trinken geben können aber es war, als wenn sein Körper genau zu wissen schien, was in so einer Situation zu tun war. Jedenfalls war er immer wieder schnell eingeschlafen.

Langsam, um ihn nicht zu wecken, legte ich ihm meine Hand auf die Stirn. Noch immer hatte er leichtes Fieber, aber es war für mich nur schwer auszumachen, ob das noch von dem Virus her kam oder von seinen Verletzungen. Eins wusste ich jedoch sicher, wenn er aufwachte, würde er Hunger haben und außerdem knurrte auch mein Magen vernehmlich. Also holte ich die Uhr wieder aus dem Rucksack und schlich mich auf Zehenspitzen aus dem Zimmer. Es wäre doch gelacht, wenn ich uns hierfür nicht ein Frühstück organisieren könnte.

~~~***~~~

Eine Stunde später wankte ich gegen den Wellengang, mit einem gefüllten Tablett auf den Händen, wieder in Richtung unserer Kabine. Es war gar nicht so einfach, sich mit Händen und Füssen verständlich machen zu müssen. Aber am Ende hatte ich es doch geschafft. Die goldene Uhr schmückte jetzt den Arm des Kapitäns, dem auch das Schiff gehörte, dafür hatten wir freie Fahrt, Kost und Logis. Danach hatte ich noch einen kleinen Kampf mit dem Schiffskoch auszutragen, aber auch hier hatte ich gewonnen, wenn auch nur knapp. Jedenfalls hatte ich meine Suppe und das Fladenbrot von ihm bekommen.

Als ich näher an unsere Kabinentür kam, hörte ich leise Stimmen aus dem Raum. Das Tablett auf meiner Hand balancierend, öffnete ich die Tür und fand Aaron in einem Gespräch mit Niran vertieft.

„Hey“, begrüßte ich ihn. „Du bist schon wach?“, fragte ich, froh das Tablett endlich abstellen zu können. „Wie geht es dir, was macht das Bein und hast du Hunger?“

Aaron schaute mich mit diesem frechen Grinsen an, das ich so an ihm lieben gelernt hatte.

„Meinst du nicht, dass das zu viele Fragen auf einmal waren?“

Ich zuckte mit den Schultern, kam nun zu seinem Bett und setzte mich. „Egal, beantworte sie einfach.“ In dem Moment wurde ich mir wieder unseres kleinen Gast bewusst. „Hallo Niran“, sagte ich und winkte ihm zu, dann suchte ich wieder Aarons Blick und wartete auf seine Antwort.

Er sah mich wieder lächelnd an und antwortete: „Ja, besser und ja“

Eine Antwort in ganzen Sätzen wäre mir lieber gewesen. Doch gerade als ich ihn zur Rede stellen wollte, rief er nach dem Jungen und sagte ihm etwas in einer Sprache die ich nicht verstand und Niran nickte begeistert und ließ uns alleine. Jetzt war ich noch verwirrter.

„Du verstehst ihn? Welche Sprache war das? Und wie viele Sprache  sprichst du eigentlich?“ Gerade eben war mir eingefallen, dass er bei seinem letzten Laborbesuch auf russisch gezählt hatte.

Noch immer lächelte er, auch wenn er jetzt doch etwas erschöpft aussah. „Schon wieder so viele Fragen.“

„Ja, aber diesmal hätte ich auch gerne ganze Sätze“, antwortete ich fordernd.

„Niran spricht wie alle hier am Bord „Tagalog“, das ist die Straßensprache von Manila. Und wenn du es genau wissen willst, spreche ich fünf Sprachen fließend und drei so……la la.“

„Puhhhhh“, machte ich anerkennend. „Das ist wirklich viel.“ Ich war völlig neben der Spur und sehr beeindruckt. Fünf Sprachen fließend… ich hatte mich gerade so durch die zwei Fremdsprachen an der Schule gequält.

„Sagtest du nicht es gäbe etwas zu essen?“, fragte er und fuhr sich mit einer Hand über seinen flachen Bauch. „Aber vorher müsste ich vielleicht einmal meine Blase…..“ Aaron unterbrach sich selbst. Und machte auch schon  wieder Anstalten aufzustehen.

„Du bleibst liegen“, sagte ich streng und sah mich in dem Raum nach einem passenden Behältnis um, fand aber nur die Schüssel, die mir gestern Niran mit Wasser gebracht hatte. Als Aaron meinem Blick folgte, zog sich seine Stirn kraus.

„Nein, auf keinem Fall. Ich werde mich nicht in einer Salatschüssel….“

Schnell unterbrach ich ihn. „Ich besorgt etwas anderes.“

„Nein, wie weit ist es bis zur Toilette?“

„Du kannst nicht aufstehen“, versuchte ich noch einmal an seinen Verstand zu appellieren.

„Ich kann und ich werde“, sagte er bestimmt und setzte sich auf. Diesmal hielt ich ihn nicht auf. Es war mir klar, ich hatte verloren. Mit einem leisen Stöhnen zog Aaron sein verletztes Bein vom Bett und stellte die Füße auf dem Boden, dann sah er mich wieder an. „Hilfst du mir?“

~~~***~~~

Unser Gang war alles andere als einfach und ich war wahrscheinlich genau so froh die Kabine wieder vor den Augen zu haben wie Aaron selbst, obwohl er es nie zugeben würde. Schwer atmend half ich ihm zurück ins Bett und stopfte ihm die wenigen Kissen, die uns zur Verfügung standen, in den Rücken, damit er wenigstens etwas aufrecht saß.

„Erst sehe ich mir deine Wunden an, dann gibt es etwas zu Essen“, entschied ich und sah mit entzücken sein enttäuschtes Gesicht, aber etwas Strafe musste sein. Ich wollte gerade anfangen, als er mich wieder ansprach.

„Wo hast du eigentlich letzte Nacht geschlafen?“

Mit den Augen deutete ich nach unten, auf dem Boden.

„Du hast auf dem Boden geschlafen?“, hakte er sichtlich aufgebracht nach.

„Na zuerst habe ich versucht auf dem Stuhl zu schlafen, aber bequem war das auch nicht. Da lag es doch nahe, mich gleich auf den Boden zu legen.“

Als ich seinen strengen Blick sah, zog ich meine Schultern hoch. „Ich hab das gerne gemacht und es war auch gar nicht schlimm.“ Meine schmerzenden Knochen behielt ich lieber für mich, Aaron war auch so schon aufgebracht genug.

„Heute Nacht schläfst du bei mir im Bett.“ Seiner Stimme war der schmerzhafte Weg zur Toilette nicht mehr anzuhören.

„Es war wirklich nicht schlimm“, teilte ich ihm bestimmt mit.

„Du schläfst hier oder ich schlaf mit dir auf dem Boden.“

Das klang schon fast nach Erpressung. „Ich werde dir nur wehtun.“ Versuchte ich es noch einmal.

„Ich werde es aushalten.“ Damit war für ihn das Thema durch. Auf so viel Männlichkeit würde ich mich erst einstellen müssen. Also hielt ich meinen Mund und arbeitete still weiter.

Als ich mir seine Schulterverletzung ansah, musste ich doch anerkennend zugeben, dass unser Chemiecocktail bei ihm zu 100% richtig wirkte.

„Woww“, sagte ich, als ich den Verband an seiner Schulter abnahm. „Das ist der Wahnsinn.“

Angestrengt versuchte Aaron sich selbst die Wunde anzusehen. „Was denn?“, fragte er neugierig.

„Sie verheilt viel schneller als ich angenommen habe. Kannst du das sehen? Sie war gestern  noch fast doppelt so tief und die Ränder sehen aus, als wenn sie schon fünf oder sechs Tage alt wäre. Ich habe das noch nie so beobachten können. Ich meine, ich habe es in den Akten nachgelesen, aber es zu sehen oder nur davon zu lesen ist ein krasser Unterschied. Das ist eine wahnsinnige Errungenschaft, ein Meilenstein der Wissenschaft, wenn wir das Publik machen könnten, das könnte so vielen Menschen helfen.“

„Was bin ich für dich? Labormaus? Oder Mann?“, fragte er in dem Moment trocken und holte mich so aus meinen wissenschaftlichen Träumereien.

Erwischt zuckte ich zusammen und meine Wangen färbten sich leicht rötlich. Er hatte ja Recht. Ich musste das ganz schnell ablegen, aber ich konnte so schlecht aus meiner Wissenschaftlerhaut und erwidern konnte ich darauf auch nichts. Also arbeitete ich einfach still weiter, strich auf die Wunde etwas von der Heilsalbe aus der Bordapotheke und verband die Schulter neu. Dann nahm ich mir sein Bein vor und während ich dort den Verband abnahm, sah ich wie sich seine Stirn in Falten legte.

„Starke Schmerzen?“, fragte ich und benetzte den Verband an der Innenseite seines Schenkels mit Wasser, weil er mit der Wunde verklebt war. Gott sei Dank sah ich nur Sekret  und ein wenig Blut, somit hatte sich meine Befürchtung nicht bestätigt und der Riss oder das Loch in der Aorta war schon verheilt.

„Geht so“, kam seine Antwort, aber ich wusste, dass das nur zum Teil der Wahrheit entsprach.

Vorsichtig fasste ich wieder nach dem festsitzenden Verband und versuchte ihn so langsam wie möglich abzuziehen. Jetzt wusste ich wieder warum ich Wissenschaftlerin geworden war. Das versorgen von Wunden, lag mir nicht. Mir fehlte einfach die entsprechende Kaltschnäuzigkeit die Chirurgen an den Tag legten. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, wie schmerzhaft diese Prozedur für Aaron sein musste, auf dessen Stirn sich langsam kalter Schweiß bildete. Mit zitternden Fingern zog ich einwenig weiter, als sich seine starke Hand um mein Handgelenk schloss.

„Mach es mit einem Ruck.“ Mehr sagte er nicht, doch ich entzog im entsetzt meine Hand.

„Das wird dir nur noch mehr Schmerzen bereiten und die Wunde vielleicht wieder aufreißen“, erwiderte ich widerstrebend.

„Wenn du es so machst, tut es auch weh, nur länger.“ In seinen Augen war wieder dieser Blick, mit dem er mich auch an dem ersten Abend, nach dem ich ihm den Virus verabreicht hatte, angesehen hatte. Als er stark fiebernd vor mir saß und sich Gedanken über meine Zukunft machte.

Zögerlich streckte ich meine Finger aus und fasste die Gaze erneut an. Es behagte mir nicht, ich hatte zu viele Skrupel ihm weh zu tun.

„Tu es, jetzt“, kam seine Anweisung und ich schloss die Augen und zog.

Die Gaze löste sich mit einem hässlich, schmatzenden Geräusch, dass mir fast schlecht wurde und ich unterdrückt aufstöhnte, doch von Aaron hörte ich nichts. Er hatte starr seine Augen auf mich gerichtet, nur seine krause Stirn und die verkrampften Armmuskeln zeigten mir, dass  auch er litt.

„Was hast du Niran vorhin eigentlich gesagt?“, fragte ich, um ihn von seinem Bein abzulenken.  

„Ich habe ihm nach einem Stück Holz gefragt. Wenn ich schon nicht hier rauskommen, so kann ich auch ein wenig werkeln.“

„Werkeln?“, hakte ich belustigt nach und wusch ein weiteres Mal die innere Wunde aus. Die äußere sah gut aus und hatte sich schon verschorft.

„Ja, schnitzen und so. Ich mag es einfach, das ich einem so harten Werkstoff ein Eigenleben einflößen kann.“ Fast entschuldigend zog er die Schultern hoch und zuckte kurz zusammen.

„Erzähl mir etwas von deinem früheren Leben. Erzähl mir von Kenneth James Kitsom.“

„Das willst du nicht hören.“

„Hätte ich dann gefragt? Ich möchte dich besser kennen lernen.“ Mein Blick fixierte seinen, während ich seinen Oberschenkel wieder fest umwickelte.

„Es gibt nicht viel zu erzählten. Meine Eltern sind früh gestorben, ich kam in ein Heim, die Army suchte für den Irakkrieg Rekruten und ich suchte ein Heim, ein Zuhause.“

Ich machte einen neuen Lappen nass und wusch ihm den Schweiß von der Stirn und dem Oberkörper.

„Das war es aber nicht. Und dann kam der NRAG und machte mir das Angebot an einem Progamm von Treadstone teilzunehmen und wieder hatte ich die Hoffnung….“

„Eine Familien zu bekommen?“, beendete ich seinen Satz.

„Ich denke, das kommt der Sache am nächsten.“ Mit einem Seufzer fuhr er sich durch die Haare. „Sagtest du nicht, er gäbe etwas zu essen?“, fragte er ausweichend und ich merkte, ich würde heute nichts mehr erfahren, also stand ich auf und holte das Tablett.

 

 

 

3. Kapitel

 

Es war beeindruckend, wie schnell sich Aaron von dem hohen Blutverlust erholte. Als ich gegen Abend, wieder mit einem Tablett beladen, unser Zimmer betrat, fand ich Aaron in einem Gespräch mit Niran vertieft. Beide hatte ihre Köpfe über etwas gesenkt, das ich von der Tür aus nicht sehen konnte und waren so fasziniert, dass sie mich gar nicht kommen hörten.

 

„Hallo ihr Zwei“, sagte ich, schob das Tablett auf den kleinen Tisch und stieß die Tür mit meinem Fuß zu. Ruckartig fuhren zwei Köpfe hoch und ein kleines graues Wesen mit einem dicken Schwanz sprang vom Bett und huschte panisch durch den Raum, um sich dann unter dem Schrank zu verbergen.

 

Wie vom Donner gerührt verhaarte ich in meiner Position. „War es das, was ich denke, dass es war?“, fragte ich mit einer Spur von Ekel in der Stimme. Niran riss sich als erstes aus seiner Starre los und legte sich beruhigend murmelt auf dem Bauch vor dem Schrank des Unheils.

 

„Eine Ratte?“, fragte ich noch immer ungläubig. „Auf deinem Bett?“

 

„Unserem“, erwiderte Aaron lachend, sichtlich begeistert über meine Reaktion.

 

Mir war alles andere als zum Lachen zumute. Ich hasste Ungeziefer, egal welche Form es hatte. Und Ratten gehörten unweigerlich dazu. Ich hatte schon immer die Labore mit den Tierversuchen gemieden. Ein leichtes Zittern und eine Gänsehaut liefen über meinem Rücken. Wie hatte ich nur so blauäugig seine können, jedes Schiff hatte Ratten am Bord. Spätestens seit ich Moby Dick gelesen hatte, war die Illusion einer Ungezieferfreien Zone eh in mir erstickt.

 

„Ratten verbreiten Keime und Krankheiten“, stammelte ich, während ich Niran dabei beobachtete wie er seinen kleinen Freund versuchte einzufangen. „Du hast offene Wunden, das….“ Weiter ließ er mich gar nicht erst kommen, sondern streckte noch nimmer lachend die Hand nach mir aus.

 

„Komm her“, sagte er und ich ergriff seine wartende Hand und ließ mich von ihm auf das Bett ziehen. „Mir geht’s gut, und das ist keine wilde Ratte, sondern Nirans Haustier. Er hat sie von Hand aufgezogen und sie gehorcht ihm aufs Wort. Sie kann sogar auf Kommando Männchen machen.“ Erklärte mir Aaron, während Niran noch immer versuchte sein Tier unter dem Schrank hervor zu locken. Klar, es gehorchte ihm aufs Wort, dachte ich belustigt. Ich bekam live mit, wie viel davon Wunschdenken war und was Realität.

 

Wobei meine Realität gerade etwas abgelenkt war, weil mich Aarons Augen zu sehr in ihren Bann zogen und ich ihnen langsam aber sicher verfiel. Ich fragte mich gerade, ob Kenneth James Kitsom die Frauen auch so in seinen Bann gezogen hatte oder ob das an dem Chemiecocktail lag, als ich hinter mir ein glückliches Quieken von Niran hörte. Scheinbar hatte er seinen kleinen Freund wieder gefunden. Als ich mich umdrehte, krabbelte ihm die Ratte gerade auf den Kopf. Schon wieder überkam mich ein leichter Schauer und Aarons Griff wurde fester. Dann sagte er irgendetwas zu Niran, woraufhin der Kleine sichtlich betrübt unser Zimmer verließ.

 

„Was?“, hakte ich nach und ließ den Kleinen und sein Tier nicht eher aus den Augen, bis sich die Tür hinter ihm schloss.

 

„Ich habe ihm nur klargemacht, dass es schon spät ist und dass er hier am Bord noch ein paar Pflichten zu erledigen hat.“

 

„Mhmm“, machte ich und war wieder bereit in seinen Augen zu versinken. Verflixt, was war nur mit mir los? Ich benahm mich wie ein Teenager.

 

„Ich hasse Ratten“, murmelte ich.

 

„Schade“, kam es von Aaron und er lächelte mich immer noch schelmisch an. „Ich dachte wir konnten uns eine als Haustier zulegen. Ratten sind so gelehrige Tiere.“

 

„Klar“, erwiderte ich darauf. „Aber nur wenn ich mir einen dicken, fetten Kater dazu holen kann.“ Gespielt verstimmt wollte ich ihm meine Hand entziehen, aber er ließ das nicht zu.

 

Es war schon seltsam, vor nicht einmal zwei Tagen hatten wir noch um unser Leben gekämpft und jetzt neckten wir uns und flachsten über unsere Zukunft, als sei es das normalste auf der Welt.

 

~~~***~~~

 

Aaron hing seinen Tagträumereien nach und beobachtete nebenbei Marta, die gerade die ausgewaschenen Verbände zum Trocknen auf die Stuhllehne hängte. Er malte sich aus, wie sie Barfuss über einen teppichbelegten Boden schritt, den Gürtel ihres dünnen, leichten Morgenmantels löste, wie sie die Seide neben dem Bett zu Boden fallen ließ, wie sie sich in die kühlen Laken gleiten ließ und dort lag, nackt und voller Lust.

 

Seine Kehle war wie ausgedörrt und sein Puls raste wie schwerer Trommelschlag. In seinen Leisten zuckte es und er spürte, wie sein Geschlecht erwachte. Heiß rauschte das Blut durch seine Adern und schwer atmend legte er sich einen Arm auf die Augen. Er begehrte sie so sehr, dass es ihm schon fast mehr Qualen bereitete, als sein verfluchtes Bein.

 

„Alles klar bei dir?“, hörte er plötzlich ihre besorgte Stimme, die ihn aus seinen Träumereien riss.

 

Mit einer Hand zog er die Decke hoch, um seine wachsende Pein zu verstecken, die andere ließ er einfach auf seinem Gesicht liegen. Ihr in die Augen schauen, hätte er jetzt nicht über sich gebracht.

 

„Alles bestens. Warum fragst du?“

 

„Deine Atmung veränderte sich, ich dachte ….“

 

„Nein, nein“, unterbrach er sie, „mir geht es gut. Mach dir keine Gedanken.“ Ich träume nur von dir, fügte er in Gedanken noch hinzu.

 

~~~***~~~

 

„Tu ich dir auch nicht weh?“, fragte ich zum wiederholten Male, als ich mich vorsichtig an seiner unverletzten Seite ausstreckte. Aaron war so weit es ging für mich auf die Seite gerutscht und der Platz der mir jetzt zur Verfügung stand, war gering aber immer noch besser, als der harte Fußboden.

 

„Es ist alles gut und jetzt entspann dich endlich.“ Hörte ich seine sanfte Anweisung.

 

Der Mann hat gut reden, wie sollte ich mich in seiner Nähe entspannen? Immerhin war er bis auf die dünne Decke fast nackt und so nah hatte ich noch nie bei ihm gelegen. Dann viel mir panisch ein, dass ich im Endeffekt überhaupt noch nie bei ihm gelegen hatte. Wir waren immer nur gerannt, gesprungen oder mit irgendeinem fahrbaren Untersätzen unterwegs gewesen. Wir hatte keine Zeit gehabt uns auszuruhen. Still zu liegen, nichts zu tun.

 

Und so lag ich einfach nur steif an seiner Seite und war völlig weg getreten von Aarons Nähe, seinem Duft, seiner Männlichkeit. Hier konnte meine geliebte Wissenschaft mir nicht helfen, hier fühlte ich mich hilflos, auf Neuland, denn mein einziger Freund, oder sagen wir lieber Exfreund, zählte nicht. Wir hatten uns schon vom Kindergarten her gekannt, da war es uns vorprogrammiert auch unser weiteres Leben zusammen zu verbringen. Meine Güte, was wäre mir alles entgangen, wenn wir uns nicht getrennt hätten. Streichelnde Finger an meiner Seite ließen mich nach Luft schnappen. Was tat er da?

 

„Ich mag es dich zu berühren, Marta“, flüsterte Aaron mir ins Ohr und ich schloss die Augen und bemühte mich um eine gleichmäßige Atmung. „Das wollte ich schon seit damals, als ich dich das erste mal im Labor, gesehen habe.“

 

Seine Augen zogen mich magisch an, während seine Hand weiterhin meine Hüfte streichelte.

 

~~~***~~~

 

„Ich will dich“, sagte er. Der köstliche, verräterische Duft ihrer Haut, als sie seinem bedeutsamen Blick standhielt, mache ihm klar, dass sie ihn auch wollte.

 

Mühsam mit einem kleinen Ächzen drehte Aaron sich auf die Seite. Als er ihren besorgten Blick sah und ihren Mund, der sich gerade wieder zu einer Schimpfkampanie

öffnen wollte, hob er ihr Kinn und presste zärtlich seine Lippen auf ihre. Nur kurz, er wollte sie nicht verschrecken. Dann hob er eine Hand an ihr Gesicht und strich sanft über ihre Wange, ihr Kinn. Ihre Haut fühlte sich unter seinen derben Fingern wie Seide an. Als er mit dem Daumen über ihre Lippen strich, konnte er ihr Schaudern fast körperlich spüren.

 

„Wir sollten das nicht tun“, murmelte sie halbherzig an seiner Seite.

 

„Komm schon, du willst es doch auch?“, antwortete er und bedeckte ihr Gesicht mit keinen leichten Küssen. Als er sah, wie sie sich genießerisch in seinen Armen rekelte, brauchte er keine Antwort mehr. Schnell zog er ihr das dünne T-Shirt über den Kopf, dann hatte er sie fast nackt vor sich.

 

„Aber deine Verletzungen?“, versuchte sie es erneut.

 

„Du bist wunderschön“, antwortete er nur. Und Zucker süß, setzte er in Gedanken noch dazu, als sie ihre Arme um seinen Nacken legte, um ihn fester an sich zu ziehen. Aaron vergrub seine Hände in ihrem vollen, üppigen Haar, berauscht von ihrer Wärme küsste er sie erneut und diesmal war sein Kuss alles andere als zart. Sekunden dehnten sich zu Minuten. Seine Hände wanderten über ihren Körper, liebkosten ihre Brustwarzen, spielten mit ihren Ohrläppchen und verharrten wieder auf ihren Lippen.

 

Sein Puls hämmerte und Marta ergab sich ihm völlig. Ihre Lippen waren von seinem Kuss zu einem tiefen, dunklen Rot erblüht. Noch nie hatte er so etwas Unwiderstehliches gesehen.

 

„Ich kann nicht knien, du musst…“

 

Mehr brauchte er nicht sagen. Leicht wie eine Feder schob sie sich auf seine Hüften. Und während Aaron langsam in sie eindrang, konnte er sein Glück nicht fassen. Sie war es, nachdem er sich sein ganzes Leben lang gesehnt hatte. Sie war sein Gegenstück. Sie war sein.

 

~~~***~~~

 

Völlig ermattet, aber glücklich, hatte ich meinen Kopf auf seiner muskulösen Brust gebettet. Es war einfach herrlich und ich hatte jetzt eine vage Ahnung, was mich erwarten würde, wenn Aaron erst genesen war.

 

„Was meinst du war das für ein Kerl, der in Manila hinter uns her war?“, fragte ich ihn.

 

Ratlos sah er mich an. „Ich habe keine Ahnung. Vielleicht CIA oder auch ein anderer Outcome Agent. Denk nicht mehr darüber nach“, sagte er und küsste mich auf die Stirn.

 

„Ich habe ihn immerhin umgebracht.“ An diese Tatsache durfte ich nicht denken, dabei gruselte es mich noch immer.

 

„Du hast mich gerettet, sieh es so“, antwortete er, während seine Hand mit meinem Haar spielte.

 

Beruhigt war ich nicht, aber es tat gut, das aus seinem Mund zu hören. Dümmlich grinsend strichen meine Finger wieder über seinen Körper, umspielten den Bauchnabel und verharrten an einer etwas fünf Zentimeter langen vollständig verheilten Narbe.

 

„Was ist da passiert?“

 

„Wo?“, kam es von ihm schläfrig, aber sein Kopf ruckte hoch.

 

„Na hier“, sagte ich und erneut wanderte mein Finger über den weißen Strich.

 

„Ach das“, tat er ab. „Da habe ich mir in Alaska den Sender rausgeholt.“

 

„Du hattest einen Sender in dir? Das war nicht in deiner Akte verzeichnet. Woher wusstest du es? Und wie hast du ihn herausgeholt?“ Interessiert hob ich meinen Kopf von seinem Bauch und sah ihm in die stahlgrauen Augen.

 

„Wir waren alle gechipt. Das gehörte zum Standardprozedere und ich hielt es damals für eine gute Idee. So haben sie es uns jedenfalls verkauft. Wir konnten nicht verloren gehen. Das sie den Sender irgendwann einmal benutzen würde, um mich zu töten, damit habe ich nicht im Traum gerechnet. Als es klar wurde, musste er raus und ein Messer habe ich immer dabei.“

 

Schaudernd legte ich wieder meine Arme um ihn und zog ihn näher, fuhr durch sein Haar, liebkoste ihn und kuschelte mich noch enger an ihn.

 

~~~***~~~

 

Aarons Selbstheilungskräfte waren beachtlich, und nur zwei Tage später konnte er sich schon wieder einigermaßen bewegen, zwar hinke er noch stark, aber in unserer Kabine hielt ihn das nicht mehr.

 

Man konnte fast zusehen, wie sich seine Wunden schlossen. Das war eine Sensation, die ich gerne dokumentiert und veröffentlicht hätte. Was würde ich für ein gut ausgestattetes Labor geben? Mit einem Seufzer strich mir, eine in die Stirn fallende Haarsträhne aus den Augen. Im Kopf ging ich schon einmal durch, was ich alles brauchen würde. Ein MRT Gerät währe super, aber kaum zu erreichen. Ein Mikroskop und eine Tischzentrifuge oder auch einfach nur ein paar Spritzen um einen Knochen- und Rückenmarksflüssigkeitstest durchführen zu können. Ein Test des Stammzellengewebes würde mir sicherlich auch gute Daten bringen. Es gab noch soviel zu erforschen, zu verstehen, aber ich war mir sicher das Aaron davon nicht erfreut seien würde. Alleine wenn ich an seine Worte denke, läuft es mir immer noch kalt über den Rücken. „Was bin ich für dich? Labormaus oder Mann?“

 

Ja, was sah ich in ihn? Natürlich zu allererst den Mann, aber die Wissenschaftlerin in mir, sah in ihm auch das wahrscheinlich letzte Subjekt, das mit der geänderten DNA überlebt hatte. Er war sozusagen die Karte, viel zu wertvoll um unerforscht zu bleiben. Jetzt musste sie nur noch ausgelesen werden und irgendwann würde ich ihn davon überzeugen müssen. Entschlossen, öffnete ich die Tür zu unserer Kabine.

 

Auch jetzt, war er nicht hier unten. Auf dem Flur begegnete mir Niran, der von Aaron immer noch nicht genug bekommen konnte. Als er meinen fragenden Blick sah, deutete er mit dem Daumen nach oben.

 

„Aaron, oben auf Deck“, teilte er mir mit und zeigte mir stolz seine Schleuder die ihm Aaron geschnitzt hatte.

 

Zwischen den beiden war in den wenigen Tage, eine ganz besondere Zuneigung entstanden. Mittlerweile wussten wir auch das Niran, der tatsächlich schon neun Jahre alt war, obwohl er auf mich eher wie sechs oder sieben wirkte, hier seit zwei Jahren als Schiffsjunge die Schulden seiner Eltern abarbeitete. Ein für mich unfassbares Vorgehen. Ich verstand solche Eltern nicht, aber Aaron hatte mir in einer stillen Stunde die katastrophalen Lebensverhältnisse der armen Bevölkerung auf den Philippinen näher gebracht. Trotzdem, verstehen konnte ich es immer noch nicht.

 

Als ich das Oberdeck, sofern man es so nennen wollte, erreichte, sah ich ihn unter dem großen Sonnensegel über eine Landkarte gebeugt sitzen. Noch hatte er mich nicht entdeckt und so genoss ich es ihn zu beobachten. Ein verwegenes Lächeln schlich sich auf mein Gesicht. Mein Krieger fand langsam zu seiner alten Stärke zurück, wie er da mit freiem Oberkörper am Tisch saß, die Schulter immer noch verbunden, angeschlagen aber schon wieder bereit zu kämpfen. Nur bekleidet mit einer leichten, weiten Leinenhose, die ich dem Kapitän abgeschwatzt hatte und die an Aaron so unverschämt gut aussah. Sie war weit genug den dicken Oberschenkelverband zu verbergen, aber er hatte er sie so tief auf den Hüften sitzen, das sie mehr preisgab als verbarg. Meine Zukunft war mir im Moment egal, denn was sollte mir an seiner Seite schon geschehen, er würde immer auf mich achten so wie ich auf ihn. Mit einem Seufzer riss ich mich los und lief wieder auf ihn zu.

 

„Hey“, begrüßte er mich, sah mir kurz in die Augen und konzentrierte sich wieder auf die Landkarte.

 

„Hey“, erwiderte ich. „Haben wir uns verirrt?“

 

„Nein“, kam es wieder von ihm und noch immer sah er mich kaum an. „Ich check nur unsere Möglichkeiten.“

 

Jetzt warf auch ich einen Blick auf die Karte. „Ich habe irgendwie gehofft, wir hätten uns verirrt“, antwortete ich ihm und versuchte in meiner Stimme das gewisse Etwas mitklingen zu lassen. Scheinbar hatte ich seinen Nerv getroffen, denn Aaron blickte ganze langsam von der Karte hoch und sein Gesicht verzog sich zu diesem schiefen Lächeln, das ich so an ihm liebte. Langsam und immer noch mit diesem Lächeln rollte er die Karte auf, ich nahm sie ihm aus der Hand und legte sie ans Ende des Tisches, dann legte ich meine Hand auf seine. Noch hatten wir Zeit. Das Schiff würde erst in einer Woche den nächsten Hafen anlaufen und bis dahin konnte sich Aaron erholen und auch mir würde ein wenig Erholung gut tun.

 

Ich wusste nicht, was mich noch alles an seiner Seite erwarten würde aber ich wusste, ich würde ihm nie freiwillig verlassen. Ich war bereit an seiner Seite das Unmögliche zu überstehen. Ich würde allen Gefahren trotzen, solange er nur bei mir war.

 

~~~***~~~

 

Eric Byer saß an seinem Laptop und sah sich zum wiederholten male die Kameraaufnahmen von dem Zimmer an, in dem Shearing und Cross zwei Nächte verbracht hatten. Er wusste nicht was er hoffte zu finden, aber irgendwas hatte ihm schon immer an Cross oder Kitsom gestört. Wieder blieb ein Blick an dem Spiegel hängen. Zwei Worte hatte Cross, mit einem schwarzen Edding darauf geschrieben. „No more.“

 

Leise wiederholte Byer die Worte, die für ihn kaum einen Sinn ergaben. „Nie wieder.“ Was sollte ihm das sagen? Fakt war, Cross hatte es geschafft unterzutauchen und dabei auch noch einen besonders wertvollen Mann liquidiert. Allerdings hatte die Spurensicherung am Tatort noch weiteres Blut entdeckt. Outcome 5 war verletzt, eventuell sogar angeschossen. Wie schwer, war nur zu schätzen.

 

Die Tötung von LARX-03 war für den NRAG zwar zu verschmerzen, denn immerhin hatten sie noch weitere Supersoldaten zur Verfügung, aber eigentlich hätte es unmöglich seinen müssen. Die LARX-Reihe war so programmiert, keine Schmerzen oder Emotionen zu empfingen, sie kämpften verbissen, bis in den Tot. Wie es Cross, verletzt und in seinem von dem Virus geschwächten Zustand trotzdem geschafft hatte, würde Byer vorerst ein Rätsel bleiben.

 

Sie hatten LARX-03 und die Motorräder am Ende von Pier5 gefunden, von Marta Shearing und Aaron Cross keine Spur. Schnell war klar gewesen, welche Schiffe an dem Tag Manila verlassen hatten. Sollte es sich bewahrheiten, dass sie auf einem der vielen Fischerboote Unterschlupf gefunden hatten, dann war es nur eine Frage der Zeit. Alle Kameras suchten nach ihnen und es blieb abzuwarten, wer den längeren Atem hatte.

 

Des Wartens müde, klappte Byer den Laptop zu und griff zum Telefon. Er hörte es ein paar Mal schellen, dann wurde abgenommen.

 

„Peters, hier Byer.“ Eric erwartete keine Antwort und sprach einfach weiter. „Machen sie LARX-05 fertig und schicken sie ihn nach Singapur, er soll dort auf mich warten, ich stoße zu ihm.“

 

„Haben wir eine Spur, Sir?“, fragte sein Mitarbeiter am anderen Ende der Leitung.

 

„Nein, aber ich habe so ein Gefühl.“

 

 

 

~~~~ E N D E ~~~~

 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Masticating Juicer (Donnerstag, 11 April 2013 00:23)

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