21.05.2011

 

"Schwarzer Peter"





Prolog




„Mia, du bist dran“ Tommy musterte seine Freundin etwas verwirrt, doch diese reagierte nicht auf seine Worte. „Mia“ Jetzt fuchtelte der Junge mit den Händen vor dem Gesicht des Mädchens herum. „Mach schon.“ grummelte er ungeduldig und hob die Augenbrauen als Milena DiNozzo, absolut in Gedanken versunken, beinahe mechanisch nach einer Karte griff. „Ja“ entfuhr es Tommy, als er sah, welche Karte Mia aus seinem Stapel gezogen hatte. Er hatte soeben gekonnt den „Schwarzen Peter“ dem, doch teilweise nervigen Mädel zugeschoben. Normalerweise war Mia nervig, sie redete ununterbrochen, machte ihre Scherze und ärgerte liebend gerne ihre Mitmenschen, besonders ihn. Doch seit gestern war alles anderes….


Kapitel 1




Milena saß auf dem Boden und tat so als spielte sie mit ihrer Puppe, aber immer wieder wanderten ihre Augen zu Taljah, die in der Malecke saß und mit einem blonden Jungen spielte. Heute war der Tag, auf den sie jeden Monat warteten. Heute war der Tag, an dem sie ihre Lieblingsspielsachen mit in den Kindergarten nehmen durften und Mia hatte zu dem Tag extra Puppe ein anderes Kleid angezogen. Jetzt wartete sie schon den ganzen Morgen darauf dies Tali zu zeigen, aber die musste ja mit dem Jungen spielen und hatte Milena bisher kaum beachtet. Als sie aus dem Augenwinkel sah, dass die kleine Israeli auf sie zukam, nahm sie wieder Puppe auf und spielte wild darauf los.
„Hey Mia, was machst du gerade?“, fragte Tali ihre Freundin.
„Oh du bist schon da? Ich hab dich ja noch gar nicht gesehen?“, antwortete Milena und spielte wichtig weiter.
„Ach komm schon. Du hast die letzte Stunde andauernd zu uns herüber gesehen, meinst du ich hätte das nicht bemerkt? Du weißt dass ich hier bin. Also?“
„Hab ich nicht und wusste ich nicht.“ kam es trotzig von Mia. „ Ich hatte zu tun.“
Die kleine Israeli versuchte das Thema zu wechseln. „Ich sehe schon, du hast Puppe dabei.“
„Ja, hab ich“, sagte Mia kurz und knapp.
Taljah seufzte. „Ich hab kein Lieblingsspielzeug, darum habe ich auch nichts mitgekommen.“
„Du hast ja BLONDI!“, rief Mia.
„HAAAAAA, ich wusste es doch. Du hast uns beobachtet“, aufgebracht zeigte die mit ihrem Zeigefinger auf Mia und stupste ihr damit beinahe auf die Nasenspitze.
„Na man konnte das ja auch nicht übersehen. Dieses Getutel? Bahhhhh“, um ihre Abneigung zu zeigen schüttelte sie sich angewidert.
Tali runzelte die Stirn. „Ich hab ihn nicht gebeutelt. Wie kommst du denn auf so was.“
Milena rollte genervt mit den Augen. „Ihr habt getutelt, nicht gebeutelt.....Tuteln, schmusen, küssen, E K E L I G, bbbrrrhhhhh.“

Ihre Freundin hielt entrüstet die Luft an. „Na das sagt ja die richtige. Du bist doch diejenige, die immer Diggs hinterher rennt. Diggs hier, Diggs da, ja Diggs, mach ich doch gerne.....“ Gekonnt äffte sie die sonstigen Worte von Mia nach und hob theatralisch die Arme nach oben. „Also wenn DAS nicht tuteln ist, dann weiß ich auch nicht weiter.“ Sie beugte sich vor um Mia die weiteren Worte ins Ohr zu flüstern. „ Dabei brauchst du dir keine Chancen ausmalen. Denn er steht eh nicht auf DICH.“ Noch immer stand sie über die sitzende Milena, das letzte Wort hatte sie extra laut ausgesprochen, so dass Mia sich nun schmerzhaft das Ohr zuhielt.
„Woher willst du das wissen“, rief Mia ihr zu, legte Puppe auf den Boden und stand auf um ihrer Freundin in die Augen zu sehen.
„Ist doch egal“, kam es da schulterzuckend von Taljah, die plötzlich bemerkte das sie sich auf dünnen Eis bewegte. Wie zwei kleine Streithähne pressten beide Mädchen die Lippen feste aufeinander und blickten sich giftig in die Augen.

„Warum streitet ihr beide euch?“, hörten sie da eine Stimme neben sich. Blondi war unbemerkt von den beiden zu ihnen getreten. Allerdings blieb seine Frage unbeantwortet.

„NEIN, mir ist es nicht egal, also sag schon“, Milena versuchte den Störenfried zu ignorieren und stemmte die Arme in die Seite.
Tali druckste etwas herum. „Na ja, du…, du bist nicht rothaarig. Diggs mag nur Mädchen mit roten Haaren.“ So jetzt war es raus. Sie verschränkte die Arme vor ihrem Körper und legte ihren Kopf leicht schief. Ihre Augen hatten sich zu kleinen Schlitzen verengt.

„Hey Mädels“, kam es wieder von dem Jungen. „Was soll das denn, ist doch auch völlig egal...“, weiter kam er nicht, weil Milenas Blick ihn zum Schweigen brachte.

„Das stimmt NICHT. Das sagst du nur aus Rache. Du LÜGST“, rief Mia und trat völlig aufgebracht einen Schritt auf ihre Freundin zu.
„Werde langsam ein Schulkind, Milena“, mit diesen Worten drehte sie Taljah um und ließ Mia allein.

Mia sah ihr mit Tränen in den Augen nach. So hatte sie sich diesen Tag nun doch nicht vorgestellt. Mit dem Handrücken wischte sie sich ein paar, sich selbstständig gemachte Tränen weg. „Ein DiNozzo weint nicht“, dachte sie schniefend und wollte ihr nachrennen, doch sie wurde von Blondi gestoppt, der sie am Arm fest hielt.

„Halt, lass sie gehen. Sie will nicht bei dir sein, sie ist jetzt meine Freundin“, teilte er ihr grinsend mit und baute sich vor Mia auf.
„Deine Freundin?“ lachte Mia auf. „Lass besser die Finger von ihr. Du meinst es eh nicht ernst mit ihr“, sagte sie und versuchte seine Hand abzuschütteln, doch sein Griff wurde immer fester. „Nimm deine Finger weg. Du tust mir weh.“
„Du bist ein Baby, DiNozzo“, sagte Blondi in dem Moment und brachte damit Mias Fass zum überlaufen. Bevor sich der Junge versah, hatte die ihm auf den Arm geboxt. „Auuuuuaaa“, entfuhr es ihm.

„Na Blondi? Wer ist jetzt das Baby?“, fragte Mia triumphierend und tauchte unter seinen Schwingern hinweg. Den anschließenden Seitenhieb sah sie zu spät und ging mit einem Ächzen in die Knie. Kurz darauf war eine schöne Keilerei im Gange. Einige Kinder waren darauf aufmerksam geworden und standen nun fasziniert davor. Und bekamen daher mit, wie Blondi Milena an den Haaren zog. Jetzt war Mias Wut vollkommen entfesselt und sie hatte kaum noch Kontrolle über sich selber. Als sie einen besonders heftigen Schlag gegen ihren ehemals gebrochenen Ellenbogen bekam, stöhnte sie laut auf und hielt sich den schmerzenden Arm. Bedrohlich kam der Junge langsam auf sie zu, sie versuchte sich in Sicherheit zu ziehen, aber er holte mühelos auf. Ihre Haare waren wild zerzaust und in ihr rosa T-Shirt war am Ärmel zerrissen. In ihrer Panik trat sie nach ihm und traf ihn tatsächlich an einer empfindlichen Stelle, so dass er nach hinten umfiel. Völlig erschöpft sackte Milena auf dem Boden zusammen und hielt sich ihren Arm. Plötzlich hörte sie schnelle Schritte und dann stand Taljah neben ihr.

„Was hast du getan?“, fragte sie und raste auch schon an ihr vorbei auf Blondi zu. Erst jetzt sah Mia, dass sich der Junge bei seinem Sturz auf den Maltisch verletzt hatte und ohnmächtig davor liegen geblieben war. „Los, hol Miss Cumberland.“ Taljah sah sie böse an. „MILENA“ schrie sie beinahe. „ …Worauf wartest du noch“ Tali legte sich Blondis Kopf auf den Schoß und strich ihm über die blonden Haare, während Mia mit schmerzverzerrtem Gesicht versuchte aufzustehen.


Eine halbe Stunde später stand Milena hinter der Tür des Gruppenraumes und beobachtete durch die Seitenscheibe ihre Freundin.
Diggs näherte sich von hinten. „Alles klar Mia?“
„Ja, mit geht’s gut“, sagte sie abwesend, hielt sich aber immer noch den Arm, den mittlerweile ein großer blauer Fleck zierte. Ihre Augen fixierten immer noch Taljah, die vor dem Büro der Erzieherin wartete. Sie hoffte nur inständig, dass Blondi nicht zu viel passiert war und nahm mit Erleichterung wahr, dass die Tür aufging und der Junge an Miss Cumberlands Seite den Raum verließ. Taljah eilte ihm mit einem glücklichen Lächeln entgegen und Mia konnte keine große Verletzung sehen. Sie öffnete die Tür und wollte gerade den Beiden folgen, als sie die Stimme ihrer Erzieherin vernahm.
„Ich denke für heute ist es genug.“ Miss Cumberland kam ihr entgegen und hielt stoppend die Hand in ihre Richtung. „Zieh dich um. Dein Vater wartet draußen auf dich. Ich habe ihn schon über deine Prügelei verständigt“, teilte sie ihr mit und ließ sie in der Garderobe stehen.

„Das wird schon wieder“, sagte Diggs und schuppste sie zu ihrem Haken. Den Tränen nahe zog sie kleinlaut ihre rosa Hausschuhe aus und ihre rosa Sandalen an, griff nach ihrer pinken Jacke, packte ihre Lillyfee-Brotzeittasche und klemmte Puppe unter ihren schmerzenden Arm. „Bis morgen“ murmelte sie Diggs zu und zog eine Schnute.


Kapitel 2




Ein paar Tage später.

Sabby rannte in Windeseile durch den Flur und hörte im Vorbeieilen nur flüchtig Miss Cumberlands warnende Worte. „Mach langsam, Kind“ rief die Erzieherin ihr hinterher. „Sonst geschieht noch ein Unglück.“ Doch das quirlige Mädchen war wie immer nicht zu bremsen und Miss Cumberland seufzte nur kurz auf. Ihre pädagogischen Maßnahmen hatten bisher nicht gefruchtet, es entsprach einfach Sabbys Natur. Und die Liebenswürdigkeit des Kindes ließ die kleinen Querelen miteinander schnell wieder in Vergessenheit geraten.
Sabby ignorierte wie immer die Rufe und rannte weiter. Vor wenigen Sekunden hatte sie nämlich einen Blick aus dem Fenster geworfen und festgestellt, dass Milena endlich in den Kindergarten gebracht wurde. Sicherlich hatte ihr Daddy mal wieder verschlafen. Doch jetzt war sie ja da und sie musste unbedingt wissen, wie es dem Arm ihrer Freundin ging. Sabby rannte an den Kindertoiletten vorbei, wich einem Jungen aus der blauen Gruppe gekonnt aus und flitzte weiter.
Kurz vor dem Büro geschah das Unglück. „Aaaaaaaaaaaaaaaah“ Sabby versuchte noch verzweifelt irgendwie das Gleichgewicht wieder zu erlangen und fuchtelte wild mit den Armen in der Luft. Doch ihre Füße fanden keinen Halt mehr und mit voller Wucht legte sie eine Bruchlandung, wie im Bilderbuch, hin. Nun lag sie bäuchlings auf dem Boden und hob verdutzt den Kopf. In Gedanken ging sie ihre Körperteile durch. Kopf – ok, Arme – ok, Beine- OKAY. Alles schien heile zu sein und auch wenn der Schock tief saß, wirklich Zeit jetzt loszuheulen, hatte sie nicht. Verlegen streckte sie den Kindern, die sie aus sicherer Entfernung beobachteten, die Zunge raus und setzte sich auf. Missmutig richtete sie zunächst ihre Zöpfe. Was zum Teufel hatte sie gerade zu Fall gebracht. Sie blickte sich um und schnell entdeckte sie die Tropfen neben sich. Auf einem dieser Tropfen war sie wohl ausgerutscht. Sabby tippte mit dem Zeigefinger auf die Stelle und führte diesen dann zu ihrer süßen Stupsnase. Es roch süßlich, aber was genau es war, konnte sie noch nicht beurteilen. So steckte sie den Finger nochmals in die Flüssigkeit und daraufhin in den Mund. Ihr Verdacht bestätigte sich. Irgendjemand hatte den leckeren Multivitaminsaft, ihr Lieblingssaft, verschüttet. Die Tropfenspur führte vom Personalzimmer bis rüber zur blauen Gruppe. „Pah, können die nicht aufpassen“ grummelte das Mädchen vor sich hin, doch dann fiel ihr ihr eigentliches Vorhaben wieder ein. Flink stand sie wieder auf den Beinen und rannte zur Eingangstür, vergessen war der Fleck.

Milena saß auf ihren Kindersitz im Auto und sah zu wie ihr Vater ausstieg und ihr die Tür öffnete. Schnell kletterte sie aus dem Auto und wollte sofort zur Kindergarten Tür durchstarten, als sie die starke Hand ihres Vaters auf ihrer Schulter spürte.
„Hoooo, nicht so schnell mein Schatz. Ich wünsch dir Heute viel Spaß Kleines und ich will nicht wieder hören, dass du dich geprügelt hast. Mädchen schlagen sich nicht, verstanden?“
Genervt rollte sie mit den Augen. Jeden Tag musste sie sich die Leier nun anhören.
„Nein Daddy“, sagte sie daher pflichtbewusst. Ihr Vater gab ihr noch einen Kuss auf den Scheitel und mit einem Klapps auf den Po war sie entlassen und trollte sich zur Tür. An der Tür drehte sie sich noch einmal um, setzte ihr strahlendes Lächeln auf und winkte ihm zum Abschied zu. Als er aus der Sicht war, verblasste ihr Lächeln sofort und traurig öffnete sie die Tür.

Milena machte im Moment eine schwere Zeit durch. Als ihr Vater sie abgeholt hatte, war er sofort mit ihr ins Krankenhaus gefahren um ihren Arm röntgen zu lassen. Gott sei Dank war es wirklich nur eine Prellung und sie hatte nur einen Salbenverband bekommen. Noch einmal einen Gipsverband hätte sie nicht ausgehalten. Mittlerweile ging es ihrem Arm auch schon wieder ganz gut. Drei Tage war die Schlägerei nun her. Drei Tage in denen Taljah kein einziges Wort mit ihr gesprochen hatte. Die meiste Zeit verbrachte ihre Freundin, wenn sie sie überhaupt noch als solche benennen durfte, in der anderen Kindergarten Gruppe, bei Blondi. Milena fühlte sich so einsam und verlassen ohne Tali und auch Diggs und die anderen konnten daran nichts ändern. Taljah fehlte. Das Einzige was sie täglich ein wenig aufbaute, wenn sie zu der anderen Gruppe herüber sah, war die dicke, blau-grüne Beule, die Blondi auf der Stirn trug. Ihren blauen Arm konnte sie gekonnt unter ihrem Ärmel verstecken, er seine Beule nicht und jeder sah, was sie, ein Mädchen, ihm zugefügt hatte. Ein wenig stolz war sie schon auf ihre Tat. Sie spürte tief in sich, dass er Taljah nicht freundlich gesinnt war.

„Hey, Mia wiegehtesdeinemArm?“, kam es von Sabby, die wie der Wind an ihre Seite getreten war.
„Gut Sabby, sieh mal“, dabei wackelte sie mit ihrem Arm herum. „alles wieder wie neu.“ Mia senkte den Kopf. „ Ist Taljah heute gar nicht da?“, fragte sie die Kleine, die vor ihr mit einem ihrer Zöpfe spielte.
„Doch, ich hab sie heute Morgen schon flüchtig gesehen. Sie ist bestimmt wieder in der anderen Gruppe. Jetzt zog Sabby ebenfalls eine Schnute. „Sie hat sich neue Freunde gesucht“, kam es traurig von Sabby und begann daraufhin auf und ab zu hüpfen. Sie nahm einen großen Schluck aus ihrer Trinkflasche. „Ich muss jetzt zu Diggs. Er will mir heute zeigen wie man aus seinem Blatt Papier ein Schiff baut. Bis später Mia.“
Milena bekam das alles schon gar nicht mehr mit. Ihre Augen suchten Taljah. Aus den Augenwinkeln versteckt, sah sie zur anderen Gruppe. Blondi war wie immer von seinen Freunden umringt und markierte den großen Boss. Doch wo war nur Tali. Ein Blick zurück zu ihrem Haken sagte Mia, das ihre Freundin wirklich schon im Kindergarten sein musste. Als sie ihre Erzieherin auf sich zukommen sah, ergriff sie sofort die Gelegenheit beim Schopfe.
„Miss Cumberland. Ich suche Taljah. Wissen Sie, wo sie stecken könnte? Oder haben Sie sie gesehen?“, fragte sie hoffnungsvoll.
„Guten Morgen Milena. Ich weiß, sie ist da, denn ich habe sie schon gesehen. Aber wo sie jetzt steckt? Wahrscheinlich ist sie in der anderen Gruppe.“ Sie musterte die Kleine aufmerksam. Dieses Kind brachte ihr nicht nur graues Haar, sondern auch zusätzliche Kilos auf die Waage. Aber ihr Schokoladenkonsum stieg stetig, sie brauchte die Süßigkeiten, um die nervliche Anspannung zu überstehen.
„Und du weißt noch deine Strafe für die Prügelei?“, fragte sie und tippte ihr auf den Kopf. Man konnte es nicht häufig genug bei der kleinen DiNozzo erwähnen.
„Ja, Miss Cumberland.“ kam es robotermäßig von Mia. „Ich darf nicht zu der anderen Gruppe gehen. Ich muss auf dieser Seite bleiben.“
„Gut“, sie tätschelte Mia erneut den Kopf und ließ die Kleine stehen.
Mia funkelte der Erzieherin dunkel nach. Wie sie das doch hasste. Dieses auf dem „Kopfgewurschtel“. Schlimm. Wieder suchten ihre Augen den Kindergarten ab, aber immer noch konnte sie Tali nicht entdecken.


Taljah saß in der kleinen Abstellkammer hinter dem Personalraum, in völliger Dunkelheit. Hier war sie noch nie gewesen. Normalerweise war dieser Raum immer verschlossen, aber jetzt wusste sie, wer den passenden Schlüssel dazu hatte. Langsam taten ihr die Arme weh, die die Jungen ihr nach hinten gebunden hatten. Sie saß in der hintersten Ecke des Raumes auf den Boden und seufzte kurz und laut auf. Hier konnte sie es sich leisten, denn sie war alleine und keiner würde sie hören. Sie war ja so dumm gewesen. Sie hatte ihm völlig vertraut, hatte sogar beinahe auf ihre Büroklammern verzichtet. Nur beinahe. Denn tief im Inneren wusste Taljah durch ihre Erlebnisse in Israel und hier in DC Vertrauen ist gut, aber Kontrolle ist besser. Sie hatte sich wirklich sicher gefühlt bei ihm. Und jetzt, jetzt hatte er sie verraten, dabei hatte sie sich für ihn sogar mit ihrer besten Freundin zerstritten. „Mia“ Taljah seufzte erneut. Das Mädchen hatte sich für sie sogar geprügelt und was hatte sie getan. Sie hatte sie in den letzten Tagen einfach ignoriert. Jetzt saß sie in der Patsche und keiner würde zu ihrer Hilfe herbei eilen. Mühsam versuchte sie die aufsteigenden Tränen zu verbergen, aber ein paar besonders hartnäckige ließen es einfach nicht mehr zu und liefen über ihre Wangen nach unten. Taljah wusste mittlerweile nicht mehr wie lange sie schon hier, gefesselt, eingesperrt war. Sie hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Ab und an hörte sie ein Rascheln oder ein Scharben, aber sehen konnte sie nichts, so dunkel war es in dem kleinen Raum. Am meisten machte ihr aber nicht die Dunkelheit, sondern die Aussichtslosigkeit ihrer Situation zu schaffen. Sie war alleine. Sie hatte Milena von sich gestoßen und mit ihr auch das Team. Sie wünschte sich nichts sehnlicher, als das Diggs endlich kommen würde. Sie würde auch mit Leichtigkeit Mias Geschwätzigkeit über sich ergehen lassen. Milena war immer für sie da gewesen und der Rest ihrer Gruppe auch. Der Streit mit ihr, erschien ihr jetzt so sinnlos und doch konnte sie die gesagten Worte nicht mehr zurücknehmen. Sie musste es sich wieder und wieder sagen, sie war alleine. Niemand würde zu ihrer Rettung eilen und das hatte sie sich selber zuzuschreiben. Sie selbst war schuld.


Kapitel 3




Milena saß am Frühstücktisch ihrer Gruppe und puhlte Löcher in einen Bagle.
„Wie war dein Abend gestern?“, fragte Tommy sie in dem Moment.
„ÖÖhhhmmmm gut“, kam es von ihr abwesend zurück.
„Also meine kleine Schwester hat jetzt auch so eine Lunch Box wie du sie hattest“, sagte er vorsichtig mit einem Blick in ihre Richtung.
„Schön“, kam es von der Kleinen wieder.
Tommy runzelte die Stirn. Schön? Was war denn mit Mia los. Er hatte sich innerlich schon auf ein Donnerwetter eingestellt und sie sagte nur SCHÖN? War sie überhaupt geistig anwesend? Er versuchte einen weiteren Anlauf.
„Ich werde mir nachher auch so eine Box besorgen, ich finde die passt ganz toll zu meinen Augen. Was meinst du?“
„Ja sicher“, kam es von Mia und sie puhlte weiter in ihrem Bagle. Plötzlich schrak sie hoch. „Das ist nicht normal.“
„Da gebe ich dir recht, du bist heute nicht normal. Was ist nur los mit dir? Du hörst mir gar nicht zu.“
„Das ist einfach nicht normal, Tommy“, kam es wieder von der kleinen DiNozzo.
„Du machst mir Angst Milena. Was ist bitte nicht normal?“, fragte er zaghaft.
„Warum meldet sich Taljah nicht mehr?“
„Weil sie immer noch böse ist?“ Tommy stütze seinen Kopf auf die Arme und beugte sich ihr entgegen.
„Ja vielleicht, aber doch nur auf mich. Warum meldet sie sich auch nicht mehr bei euch? Ihr habt ihr doch gar nichts getan? Das ist nicht normal, Tommy.“
„Vielleicht kann sie sich ja nicht melden?“ Der Junge hob die Schultern.
„Haaaaaah, genau. Vielleicht wird sie gefangen gehalten?“
Tommy kratzte sich am Kopf. „Vielleicht hast du recht Mia“, und als sie aufsprang rief er ihr hinterher. „Was willst du jetzt tun?“
„Das was ich am besten kann. Sie suchen!“, rief sie zurück und machte sich auf die Suche nach Diggs, um ihn nach seiner Meinung zu fragen.

Sie fand ihn vor dem Büro der Kindergartenleitung in Lauerstellung. Fragend sah sie ihn an, erntete aber nur ein Kopfschütteln von ihm. Schnell legte er sich einen Finger auf die Lippen und lauschte weiter dem Gespräch der Erwachsenen, bis plötzlich die Tür geschlossen wurde.
„Was war das gerade?“, fragt Milena leise.
„Nichts.“ winkte Diggs ab.
„Nach Nichts sah das aber nicht aus. Es ging um Tali, richtig?“
„Nee, nicht direkt. In der anderen Gruppe sind in letzter Zeit vermehrt Probleme mit dieser Jungsbande aufgetreten. Die Gruppenleitung hat eben Miss Smith ihr Leid geklagt und hat diese Kinder sogar einmal….“ Er beugte sich zu Mia und flüsterte ihr ins Ohr. „… kleine Terrorzwerge genannt.“, sagte er geheimnisvoll.
„Ist das so?“, fragte sie und zog eine Augenbraue hoch. „Ich geh da jetzt rüber und such sie“, kam es aufbrausend von ihr. Sie war es leid um den heißen Brei herum zureden. Sie wollte Taten sprechen lassen. Doch Diggs hielt sie am Arm fest.„Nein.“
„Wieso nein? Sie ist unsere Freundin. Irgendwas stimmt da drüben nicht.“
„Ich weiß Milena. Aber uns sind die Hände gebunden. Du darfst nicht in die Gruppe.“ erinnerte er das Mädchen, doch dann grinste er sie frech an. „Vielleicht haben Tommy und du ja Lust auf eine kleine Erkundungsreise?“, fragte er sie verheißungsvoll.
„Und das geht?“ Mia rümpfte die Nase.
„Klar, warum denn nicht. Vielleicht mit dem Dreirad..“, er zuckte mit dem Kopf. „..verfahren? Lass dir was einfallen“, dann drehte er sich um und lies sie stehen.
„Okay, ich lass mir was einfallen“, sagte sie zu sich selber.

Wenige Minuten später saßen die Kinder auf dem Teppich der Bauecke. Taljah schien wirklich in großer Gefahr zu sein und mit großem Eifer versuchten sie sich einen Plan zu recht zu legen. Aber bisher waren die Überlegungen allesamt nicht sehr vielversprechend. Es gab keine Spur, keinen kleinsten Hinweis, wo die kleine Israelin steckte. Mia zwirbelte eine Haarsträhne, während Tommy in Gedanken versunken, am Daumen lutschte. Selbst Rocky war still und lauschte der Zusammenfassung von Diggs, der das belauschte Gespräch im Büro zusammenfasste. Sabby bohrte gerade in der Nase und hielt plötzlich inne.
„Das ist es.“ Stieß das Mädchen mit den Rattenzöpfen hervor und kniete sich schnell hin. Den Zeigefinger, mit dem sie zuvor den Inhalt ihrer Nase entfernt hatte, hielt sie nun wissend in die Höhe. „Heute Morgen, als ich Mia begrüßen wollte, bin ich böse gestürzt.“ Mit schmerzverzerrtem Gesicht rieb sie sich über ihr Knie, auf dem nun ein großer blauer Fleck rankte. „Seht mal.“ Sie streckte ihr Bein aus und machte ihre Freund auf den Fleck aufmerksam. „Sieht fast aus, wie ein Totenkopf“ grinste sie. „Wenn ich groß bin, lass ich mir das drauf malen. Aber nicht aufs Knie, vielleicht auf die Schulter, oder auf den Rücken, oder….“
„Sabby“ Diggs war dem Mädchen entgegen gekrochen und hielt sie nun an den Schultern fest. „Bitte“
Sabby tippte sich gegen die Stirn. „Klar“ Sie war wieder voll bei der Sache. „Ich bin auf verschüttetem Multivitaminsaft ausgerutscht. Eine Schande sag ich euch, wie kann….“ Sie erntete einen bösen Blick von Diggs und ballte daraufhin ihre Hände zu Fäusten. „Die Spur führte von der blauen Gruppe, also genau die bereits erwähnte Gruppe, bis zum Zimmer für die Großen, da wo wir nicht reindürfen, wisst ihr?“
Die anderen nickten ihr zu. Das war eine mögliche Spur.
„Mist“ zischte Diggs. „Wie sollen wir da bloß rein kommen.“ Er hatte es sich mittlerweile im Schneidersitz gemütlich gemacht und blickte nun in die fragenden Gesichter.
„Da kann ich euch vielleicht helfen.“ kam es von Rocky. „Ich kann ja diesmal nicht allzu viel für euch tun. Aber ich bastele doch gerade meinen Papier-Menschen und Miss Cumberland hat mir versprochen, dass ich Wackelaugen bekomme.“
Diggs atmete erleichtert auf. „Und diese Wackelaugen gibt es nur in der Materialkammer, in die man nur durch das Personalzimmer kommt.“ Er klopfte seinem Freund auf die Schulter. „Guter Plan“ Er rieb sich die Nase. „Aber Tommy soll dich vorsichtshalber begleiten.“

Bereits nach kurzer Zeit kehrten die Beiden, die sich auf wichtiger Mission befunden hatten, geknickt zurück und ließen sich erneut neben ihren Freunden auf dem Teppich nieder. Rocky öffnete seine Hand und hielt die Wackelaugen in die Mitte.
„Habt ihr Tali gefunden?“ kam es rasant von Mia, doch die enttäuschten Gesichter der gegenübersitzenden Jungs sprachen Bände.
„Keine Chance“ Tommy schüttelte den Kopf und sah zu Rocky.
Der hob die Schultern. „Miss Cumberland hat mir die Wackelaugen gestern extra schon vorbereitet. Sie lagen auf ihrem Schreibtisch.“ Er drehte seine Hand und ließ die Augen auf den Boden fallen. „Sogar in unterschiedlichen Größen.“
„Jetzt haben wir keine andere Möglichkeit mehr“ grummelte Diggs und schubste Mia sachte gegen die Schulter. „Ihr müsst zu den Jungs. Ihr findet sie sicherlich im Sandkasten.“
„Oh nee“ trotzig verschränkte Mia ihre Arme vor dem Körper. „Dann werden meine neuen Sandalen wieder total sandig.“ Sie stand auf und deutete Tommy ihr zu folgen. Im Weggehen grummelte sie weiter. „ Wieso muss in einem Sandkasten im Sand sein.“
„Nun ja, es heißt nun mal SANDkasten, weil sich SAND darin befindet: also ist es ein SANDSandKASTEN.“ Verwirrt schüttelte Tommy den Kopf, Mia konnte manchmal so umständlich sein.


Kapitel 4



Tommy hielt sich mit aller Kraft am Anhänger des Dreirads fest. Seit dem Sturz vor einigen Tagen war er der Begegnung mit dem Fortbewegungsmittel geschickt aus dem Weg gegangen. Während Mia langsam losfuhr, atmete der ängstliche Junge tief durch.
„Danke, dass du mich freiwillig gemeldet hast“ zischte er durch die zusammengebissenen Zähne.
Mia warf einen Blick über ihre Schulter. „Hör auf, du wolltest doch schon immer mal mit mir Dreirad fahren.“ Sie warf gekonnte ihr Haare durch die Luft und grinste, das entsetzte Gesicht von Tommy war einfach so komisch. Angestrengt trat Mia in die Pedalen und bog um die Ecke des Hauses. Langsam ließ sie das Dreirad auslaufen und verzichtete ausnahmsweise auf eine abrupte Bremsung. Wer weiß, vielleicht war es besser, Tommy ein wenig zu schonen. Suchend blickte sie sich um und schüttelte dann den Kopf.
„Hier ist keiner in Sicht.“ Mia drehte sich erneut zu Tommy um und hob enttäuscht die Schultern.
„Ok, ich gebe es weiter.“ murmelte Tommy und stieg vom Anhänger. Gerade wollte er sich auf den Weg zurück machen, um Diggs über den Stand der Suchaktion in Kenntnis zu setzen.
„Aaaaah, Tommy“ Mia schrie beinahe und Tommy blieb abrupt stehen und blickte zurück in die Richtung, aus der die angstvolle Stimme erklang.
Drei Jungs standen um das Dreirad und hielten drohend die roten Plastikschaufeln in die Höhe. Tommy, ein wenig abseits, wägte kurz seine Möglichkeiten zur Flucht ab. Als er jedoch den vierten Jungen hinter sich stehen sah, schluckte er schwer. Die Lage war wohl eher ausweglos.
„Hallo Jungs“ Mia hob ergebend die Hände in die Luft. „Wir kommen in Frieden“ Doch die Jungs aus der Nachbargruppe ignorierten die Friedensbekundungen und zerrten Mia vom Dreirad, während der Andere Tommy den rechten Arm verdrehte und ihn somit in die Knie zwang.
Mia geriet leicht in Panik und suchte die Augen ihres Freundes. „Tommy sag deinen Spruch auf.“
Tommy liefen bereits die ersten Tränen über die Wange und so murmelte er beinahe unverständlich immer wieder den Satz vor sich hin. „Piep, piep, piep, wir haben uns alle lieb.“
Einer der Jungs begann gerade grinsend damit, das Sprungseil um Mias Oberkörper zu wickeln. Mia riss entsetzt die Augen auf und murmelte hilflos und bittend an Tommy gewandt. „Sag einen anderen Spruch.“


Kurze Zeit später, war Milena mit einem langen Springseil an einen kleinen Gartenstuhl aus Plastik gefesselt und Tommy lag noch immer leicht benommen, durch den rüden Überfall, zu ihren Füssen. Mittlerweile waren sie wieder alleine, aber sie konnte beim besten Willen nicht sagen, wo die Jungenbande sie hin verschleppt hatte. Sie hatte während der Gefangennahme anscheinend Sand ins Auge bekommen und sah im Moment alles verschwommen.
„Weißt du wo wir hier sind?“, fragte sie Tommy leise.
„In dieser Ecke hinter dem Klettergerüst“, kam es genau so leise zurück. Immer noch hatte sich ihr Freund nicht bewegt.
Oh je, dachte sich Milena, das war gar nicht gut. Hier konnte sie niemand sehen. Die Ecke war ein toter Winkel und daher sehr beliebt bei den Kindern, wenn sie den Blicken der Erzieherinnen aus dem Weg gehen wollten. „Mmh….“ Vernehmlich fing ihr Magen an zu knurren. Erst jetzt fiel ihr wieder ein, dass sie ja ihren Bagle gar nicht aufgegessen hatte. Hunger machte sie immer so träge im Kopf. Und Gefahr machte hungrig.
Mia lehnte sich soweit es irgendwie ging im Stuhl zurück, ohne dass sie umfiel, und versuchte um die Ecke zu spähen. Dort erkannte sie einen der großen Jungs, mit Schaufel bewaffnet tigerte er vor dem Klettergerüst auf und ab und schien Wache zu schieben. Er hatte sich einen Sandeimer umgekehrt auf den Kopf gesetzt und kam sich damit besonders stark vor. Sie blickte wieder zu Tommy zurück und rümpfte die Nase.
„Was tust du da?“ Sie zerrte ein wenig an ihren Fesseln.
„Ich stelle mich tot!“
„Warum?“, fragte Mia verwirrt.
„Weil sie mich dann nicht so fesseln wie dich und weil ich dich dann befreien kann.“
„Dann mach mich los. Meine Arme schlafen schon ein.“
„Nein, das ist noch zu früh. Zuerst müssen wir wissen wo Tali ist.“ Eigentlich wollte er sich ja nicht bewegen, aber bei Mias Dummheit, wurde seine Geduld auf eine harte Probe gestellt und so blieb ihm nur die Möglichkeit mit den Augen zu rollen.
„Ach ja“ grummelte sie mit ihrem Magen um die Wette und hörte gleichzeitig näher kommende Geräusche.
„Tommy pass auf, da kommt wer“, wisperte sie.
„Mhmm“, war alles was er machte. Dann nahm er seine Rolle wieder auf und erschlaffte.

Als das große Tuch, das sonst als Sonnenschutz für die Kinder diente und in der Regel über der Terrasse gespannt war, aber heute als weiteren Sichtschutz vom Klettergerüst herunterhing, zur Seite gezogen wurde und ein blonder Junge mit einer Trinkflasche in der Hand zu ihnen trat, wurde Mia alles klar. BLONDI! Sie hatte ja gleich gespürt, dass er es nicht ernst mit Taljah meinte. Jetzt baute er sich vor ihr auf.
„DU?!“, fragte sie aufgebracht.
Blondi grinste sie nur an. „Ja, ICH. Was wolltest du und dein kleiner Begleiter da draußen in unserem Bereich?“, fragte er sie.
„Die Blumen zählen“, erwiderte sie brummig.
„Mit dem Dreirad?“, fragte er und seine Betonung lag dabei auf dem letzten Wort.
„JA, was dagegen?“, trotzig hatte sie ihm ihr Kinn empor gereckt und zerrte an ihren Fesseln.
„Streng dich nicht so an, du wirst deine Kräfte noch brauchen. Wenn ich mit dir fertig bin, dann wirst du mir schon sagen was ich wissen will“, und während er mit ihr sprach, holte er hinter seinem Rücken einen Schoko Cupcake hervor und hielt ihr den unter die Nase. Milenas Magen knurrte beim Erkennen der Leckerei sofort laut los, so das Blondi sich vor Lachen bog.
„Ich habe es gewusst. Du bist so was von durchschaubar. Also los, was habt ihr bei uns gewollt?“, fragte er und nahm einen Schluck aus seiner Trinkflasche.
Oh Gott, wie sollte Mia nur diesem Drang widerstehen. Fast automatisch beugte sich ihr Oberkörper dem Kuchenstück entgegen. Sie sog den Duft tief in ihre Lunge ein. Allein der Gedanke wie die Süßigkeit ihr auf der Zunge zergehen würde, sorgte dafür das ihr das Wasser im Mund zusammen lief und sie verstärkt schlucken musste. Genüsslich schloss sie die Augen und genau in dem Moment wurde sie von Blondi an der Schulter gerüttelt.
„AUUUA, was sollte das denn jetzt“, fauchte sie ihn an.
„WAS HABT IHR HIER GEWOLLT?“, fragte er wieder und gönnte sich noch einen Schluck aus der Flasche.
Sie sah ihn betont gelangweilt ins Gesicht. „Blumen zählen.“
Er schüttelte aufgrund ihrer Sturheit nur stumm mit dem Kopf und hielt ihr den Cupcake wieder vor das Gesicht.
Milena schluckte. Ihre Augen verfolgten das Ding und sie konnte kaum noch einen gescheiten Gedanken fassen, der nichts mit Essen oder Schokolade zu tun hatte. Je näher er ihr das Kuchenstück vorhielt, um so lauter verlangte ihr Magen Nahrung. Nur Millimeter unter ihrer Nase stoppte er und fast zärtlich versenkte er seinen Finger in die Sahne, um ihn kurz darauf wieder herauszuziehen und Mia einen Klecks Sahne auf die Nasenspitze zu geben. Den Rest vom Finger leckte er sich genüsslich ab.
„Mmmmmhhhhhmmmm lecker.“
Milena versuchte mit ihrer Zunge ihre Nase zu erreichen, aber sie kam einfach nicht an die Sahne heran. Ihre Augen schielten den Fleck an, ihre Zunge stocherte durch die Luft, ihr Magen sang seine letzten Töne und vor lauter Verzweiflung fing auch noch ihr Oberschenkel an zu krampfen. Jetzt konnte sie ein Stöhnen nicht mehr unterbinden und musste fassungslos mit ansehen, wie Blondi sich den Cupcake selbst zu Gemüte führte und ihn mit einem lauten Schmatzen aufaß. Die Reste spülte er mit seinem Lieblingsgetränk herunter. Übertrieben rieb er sich über den Bauch und leckte sich genüsslich die Lippen.
„Das war Klasse. Hast du Hunger, Kleine?“ Er zwinkerte Mia zu. „Da wo der war, gibt es noch mehr. Du musst mir nur meine Frage beantworten. Was habt ihr im Garten gewollt?“
Mia schluckte. Ihr Oberschenkelmuskel krampfte immer noch und sie war noch nie so gequält worden.
„Wir waren auf der Suche nach ……. Taljah“, presste sie durch zusammengebissene Zähne hervor.
„Haaa, jetzt kommen wir der Sache näher. Woher wusstet ihr das sie bei uns ist?“
„Ihr habt euch verraten.“
„Wie?“, fragte er neugierig.
Milena deutete auf seine Trinkflasche. „Du hast Spuren hinterlassen. Es gibt im ganzen Kindergarten nur zwei Kinder, die ohne das Zeug nicht auskommen und eins davon gehört zu uns.“ Mittlerweile ging es ihr wieder etwas besser und auch ihr Oberschenkel hatte sich wieder beruhigt.
Blondi sah auf seine Flasche herunter und warf sie mit einem lauten Krachen gegen die Wand.
„Okay, so scheinen wir ja nicht weiter zu kommen. Aber vielleicht geht es ja auch anders“, sagte er wütend und verließ die Ecke.


Kapitel 5



„Alles klar?“, fragte Tommy leise.
„Nein“, jammerte Mia gleich los. „Mein Magen knurrt, ich schiele, weil sich auf meiner Nase ein Klecks Sahne befindet, aaah….“ Sie atmete tief durch. „….aber ansonsten geht es mir gut.“
Sie wollte Tommy gerade bitten sie doch endlich loszubinden, als Blondi wieder in die Ecke trat, an seiner Seite eine kleine Gestalt mit einer Wal-Mart Plastiktüte über dem Kopf.
„Das ist verboten, das dürfen wir nicht, das ist gefährlich. Meine Mommy sagt, da kann man bei ersticken“, kam es besserwisserisch von der kleinen DiNozzo.
Blondi stellte einen zweiten Stuhl Mia gegenüber, drückte die kleine Gestalt darauf und nahm ihr die Tüte ab.
„Ich lass euch mal ein wenig alleine“, sagte er und verließ den Raum.
Tali blinzelte aufgrund der Helligkeit, dann entdeckte sie die vor ihr gefesselte Mia.
„Von allen Kindern hier, hätte ich dich am wenigsten hier erwartet. Was machst du hier, Mia?“, fragte sie mit Tränen in den Augen.
„Wir haben dich gesucht.“ Mia verzog das Gesicht und riss sich für einen Moment von dem Fleck auf der Nase los.
„Ja, aber was machst DU hier Milena?“
„Ich schätze..“, dabei wurde ihr Blick wieder schielend, weil der Sahnetupfer wieder in ihr Blickfeld geriet. „…ich schätze ich kann nicht ohne dich sein. Es ist so langweilig ohne dich und du fehlst mir so.“ gab sie unumwunden zu.
Taljah war gerührt. Sie hatte sie aufs schlimmste beschimpft und doch hatte Milena sich für sie in Gefahr gebracht. Sie wusste gar nicht was sie zu Mias Geständnis sagen sollte und wandte erst einmal den Blick zu dem Jungen auf dem Boden.
„Hey Tommy, alles klar?
„Mhhnnn“, kam es von ihm wieder.
Tali sah Mia fragend an.
„Oh das? Er spielt nur toter Mann. Ich erklär es dir später. Jetzt müssen wir dich erst einmal retten.“
„Aber wie? Hier findet uns niemand“, kam es resigniert von der kleinen Israeli, die sah das Blondi wieder den Raum betrat.
„Da hat sie wohl recht.“ Blondi stand direkt neben der kleinen Israelin. „Wer von euch gibt mir jetzt Informationen über eure Gruppe?“
„Ich“ Mia ergriff das Wort. „Weißt du, ich werde von meinen Freunden meist als Joker eingesetzt.“ Sie beobachtete den Jungen aus dem Augenwinkel.
Der konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. „Du meinst wohl eher als *Schwarzer Peter*.“ grunzte er und wies Milena auf ihre ausweglose Situation hin.
„Ich meine DAS was ich sage.“ zischte Milena, doch Bloni hob bloß die Schultern.
„Und weiter?“ Ungeduldig schnalzte er mit der Zunge.
„Ich erzähl dir gerne was von Diggs…. wie gut er im Zielen ist ….“
Mias Gesicht verzog sich zu einem Grinsen, dann rief sie laut *ACTION*. Von da an ging alles ganz schnell.

Diggs war natürlich von Anfang an seinen Freunden gefolgt, hatte sich stets im Verborgenen gehalten und aus sicherer Entfernung beobachtet. Seit endlosen Minuten saß er nun auf dem kleinen Hügel hinter dem Holunderblütenstrauch und wartete auf den richtigen Moment. Sabby hatte ihm eine geniale Waffe angefertigt und seine Munition hatte er nun in einer Plastiktüte vor sich liegen. Geduldig hielt er die erste Wasserbombe in der Hand. Er musste auf sein Zeichen warten.

Und gleich sollte es losgehen. Er hörte Mias Schrei. „ACTION“ hallte in seinen Ohren und er tat, wozu er hier war. Die erste Wasserbombe traf Blondi mitten im Gesicht. Und Sabby hatte für eine lustige Überraschung gesorgt, statt mit Wasser hatte sie die Ballons mit Kirschsaft gefüllt. Das Überraschungsmoment konnte Tommy nutzen, um mit einer geschickten Drehung Blondi zu Fall zu bringen. Der landete mit seinem roten Gesicht mitten im Sand und fluchte kurz auf. Während sich der Junge aufsetzte und sich verzweifelt und schreiend die Augen rieb, band Tommy Talja los und löste die Wollfesseln von Mia.
„Raus hier“ zischte er und half Milena Taljah, die ziemlich mitgenommen aussah, zu stützen. Gemeinsam flohen sie aus der Ecke des Klettergerüstes. Doch als sie um die Ecke bogen, blickten sie dem großen Jungen in die Augen, der noch immer vor dem Klettergerüst Wache schob und jetzt drohend die Schaufel hob.
Wie von der Tarantel gestochen eilte Diggs vom Hügel herab, warf geschickt immer wieder seine Wasserbomben in Richtung des Jungen, der aber gekonnt auswich. Nur noch wenige Meter trennten sie voneinander und wütend schmiss er sich mit voller Wucht dem Jungen entgegen. Durch seinen Sprung warf er ihn zu Boden und setzte sich triumphierend auf seinen Rücken. Zur Begrüßung hob er die Hand und winkte. „He ihr Drei“ grinste er ihnen entgegen. „Lasst uns zurück in unsere Gruppe gehen.“


Epilog



Milena saß mit ihren Freunden am Tisch und seit fast einer halben Stunde spielten sie Karten. Mia war mittlerweile mit schwarzen Flecken im Gesicht übersähet. Denn sie verlor ein Spiel nach dem anderen, dieses Kartenspiel lag ihr einfach nicht. Egal wie sehr sie sich auch anstrengte, jedes Mal hatte sie am Ende den Schwarzen Peter in der Hand und musste zähneknirschend den Stempel über sich ergehen lassen, den sie von den anderen lachend ins Gesicht gedrückt bekam.

„MILENA“ ertönte der Schrei von Miss Cumberland. „OH NEIN“ Die Erzieherin schlug die Hände vor die Augen, dieses Kind. Dieses schreckliche Kind.
Mia zuckte zusammen, was hatte sie denn jetzt schon wieder angestellt. Sie schluckte schwer und sah mit ängstlichen Augen zu Miss Cumberland. „Ich, ich…..“ stammelte sie, obwohl sie gar nicht wusste, was sie eigentlich sagen sollte.
„Geh SOFORT in den Waschraum und sieh zu, dass die Tinte wieder aus deinem Gesicht verschwindet.“ Vor Wut lief Miss Cumberland rot an. Wie sollte sie das schon wieder Tony DiNozzo erklären. Es war zum Haare raufen. Empört griff sie nach dem Kartenstabel, der auf dem Tisch lag und pfefferte ihn in den Mülleimer. „Sucht euch andere Spiele.“ Zischte sie die Kinder an und bedachte sie mit einem verzweifelten Blick. „Aber diesmal ohne irgendwelche kindischen Ideen.“ Als sie selbst den Sinn ihres Satzes verstand, musste sie grinsen. Entschuldigend strich sie den Kindern, die sie nun fragend anblickten, über den Kopf.
Sie atmete tief durch. „Das Stempelkissen nehme ich besser wieder mit ins Büro.“

Milena stand vor einem der Spiegel im Waschraum. Müde fuhr sie sich wieder und wieder mit einem Waschlappen über ihr Gesicht. Traurig stimmte sie dazu ein kleines Liedchen an.

Hände waschen, Hände waschen, das kann jedes Kind.
Nun sind sie endlich sauber ja, doch leider ist kein Handtuch da.
Dann müssen wir sie schütteln, schütteln, schütteln, schütteln -
dann müssen wir sie schütteln, schütteln, schütteln, schütteln bis sie trocken sind.

Plötzlich nahm sie im Spiegel eine Bewegung wahr. Taljah hatte sich leise hinter sie geschlichen. „Seit wann stehst du da schon?“, fragte Milena.
„Lange genug um zu sehen das es dir nicht die Sprache verschlagen hat.“
„Warum bist du mir ins Bad gefolgt?“, fragte Mia. Tali, die mit verschränkten Armen an der Tür lehnte, kam nun langsam auf sie zu.
„Es gibt etwas, das gesagt werden muss“, druckste sie herum. „Ich hätte dir nie solche Sachen sagen dürfen. Ich habe dir nicht vertraut, niemanden von euch. Und doch warst du es, oder ihr, die mich gerettet haben. Du hast sogar diese unheimliche Folter auf dich genommen.“ Diese paar Sätze hatten ihr viel Kraft gekostet und ihre Augen juckten verdächtig.
„Das ist unwichtig“, sagte Mia, die immer noch durch den Spiegel Taljah beobachtete. Die Situation kam ihr unheimlich vor, denn sie hatte die kleine Israeli noch nie so in Seelennöten gesehen. Am liebsten hätte sie sie einfach in ihre Arme gezogen, aber sie wusste wie sehr Tali offene Liebesbekundungen hasste.
„Nein, das ist wichtig. Du hast mich beschützen wollen, immer und überall.“ Wieder trat sie näher und stellte sich nun direkt neben Mia.
„Es tut mir leid das ich Blondi....“, wollt Mia sagen, doch Tali hob eine Hand um sie am sprechen zu hindern und wischte sich gleichzeitig eine Träne weg.
„Wichtig ist das es mir leid tut“, sagte sie und gab Mia einen kleinen aber doch zärtlichen Kuss auf die Wange. Milenas Gesicht erstrahlte. Der Kuss bewirkte, dass sich ihre Zehen, in ihren rosafarbenen Hausschuhen kräuselten. Ihr typisches DiNozzo Grinsen kehrte schlagartig zurück und hatte sich auf ihrem Gesicht breit gemacht.
Taljah lächelte sie an. „Freunde?“ fragte sie und hielt ihr die Hand hin.
„Für immer“, fügte Milena bewegt hinzu und schlug ein.
„Gut“, kam es da von der kleinen Israeli. „Dann können wir ja jetzt wieder normal werden.“
Blitzschnell hatte sie in ihr Hosentasche gegriffen und bevor Mia überhaupt registriert hatte, was Taljah vorhatte, hielt ihr diese schon eine Büroklammer unter die Nase.
„Und Mia, zu niemanden ein Wort über den Kuss. Ansonsten.......“, bewusst ließ sie den Satz unvollendet, zwinkerte der kleinen DiNozzo zu und verließ das Bad. Milena stützte sich auf den Rand des Waschbeckens und atmete tief durch. Trotz Talis Drohung bekam sie das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht. JETZT war wirklich alles wieder normal.

~~~ E N D E ~~~


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