DIE MONSTER AG



Müde versuchte Mia ihre Freundin Taljah in der Gruppe von Kindern auszumachen. Es war ein anstrengender Kindergartentag gewesen. Morgens waren sie mit Miss Cumberland in den Stadtwald gefahren und hatten Kastanien gesammelt, nur um dann den ganzen Nachmittag daraus seltsame Männchen zu basteln. Jetzt taten der kleinen Brünetten nicht nur die Füße, sondern auch die Finger weh. Mit einem kleinen gequetschten Stöhnen setzte sie sich auf einen freien Stuhl. Sie zog einen Pantoffel aus, hob ihren Fuß auf das Knie und rieb sich die schmerzenden Zehen. Vielleicht waren die weißen Ballerinas doch nicht die richtige Wahl für einen Waldspaziergang gewesen. Vielleicht hätte sie doch auf Ihre Mommy hören sollen, die wollte dass sie Turnschuhe anzog, doch die hätten zu dem tollen Rock doch nicht so schön ausgesehen. Dafür hatten ihre schönen weißen Schuhe nun bestimmt schwarze Kratzer von dem schrecklichen Waldboden. Ob sie dafür geschimpft werden würde? Aber vielleicht war das ja bald vorbei. Plötzlich waren ihre Füße egal und ihr Blick verschleierte sich zunehmend.

Taljah hatte endlich ihre Freundin entdeckt. Sie ließ sich auf den Stuhl neben Milena fallen und streckte ihre Beine vor sich aus. Das war heute ein herrlicher Tag gewesen. Als sie an den Morgen dachte, schlich sich ein Lächeln auf ihr Gesicht. Ihre Camouflage-Hose und die kakigrüne Jacke hatten sich prima in den Wald eingefügt und sie fast unsichtbar gemacht, während Mia mit ihrem pinkfarbenen Rock und der hellblauen Jacke wie ein Leuchtfeuer für jeden sichtbar gewesen war. Außerdem hatte sie sich wie ein Elefant bewegt und war auf jeden Ast und in jedes Loch getreten und dazu meistens mit großem Gestöhne. Doch warum sie jetzt, für sie vollkommen ungewohnt, still auf dem Stuhl saß, war für Tali ein Rätsel. Was hatte Mia nur in den letzten Tagen? Ob sie traurig war, weil sie bald nicht mehr das einzige Kind in der Familie war? Irgendwie musste Taljah das heraus finden. Also fing sie betont provozierend ein Gespräch an, um ihre Freundin aus der Reserve zu locken.

„Tante Ziva wird immer dicker“, sagte Taljah und sah ihre Freundin dabei von der Seite aus an.

„Stimmt doch gar nicht“, kam es von Milena da.

„Stimmt wohl, das muss doch selbst so ein blindes Huhn wie du sehen“, sagte Taljah aufmüpfig.

„Bin kein Huhn, nimm das zurück.“ Mia zog ihre Unterlippe hoch und langsam wurden ihre Augen feucht. Wo war nur Puppe, wenn man sie brauchte. Langsam lösten sich die ersten Tränen und liefen über ihre bleichen Wangen.

Taljah runzelte ihre Stirn. „Was ist denn mit dir heute los?“, fragte sie vorsichtig ihre Freundin und sah sie dabei aufmerksam an.

„Ich... ich...“, Mia seufzte einmal tief auf und zog die Nase hoch. „Meine Mommy muss in den Himmel“, sagte sie und wischte sich eine störende Träne von der Nasenspitze. „Sie ist nicht mehr alleine“, beendete sie den Satz, wobei sie den letzten Teil Tali ins Ohr flüsterte und dabei herzzerreißend schluchzte.

Taljah zog eine Augenbraue hoch und warf ihrer Freundin einen skeptischen Blick zu. „Was? Nicht mehr alleine? Tante Ziva muss sterben? Wie?“

„Ich weiß es doch auch nicht, aber ich habe Mommy und Daddy abends, als sie dachten ich schlafe schon, belauscht. Und da hat Sie auf der Couch gelegen und hat zu Daddy gesagt: „Nicht mehr lange, dann kommt es da raus.“ Milena schluckte schwer. „Dabei hat sie auf ihren Bauch gezeigt und Daddy hat auch ganz komisch ausgesehen.“

Ihre Freundin verstand die Welt nicht mehr. „Was? Und warum kommst du auf die Idee das sie sterben muss?“

„Ich hab doch mal von meinem Versteck aus einen Film mit angeschaut. Du weißt doch diesen BBBAAHHH Film...“, dabei schüttelte sie sich, „und dabei ist der dicke Bauch irgendwann aufgeplatzt und raus kam ein Monster und der Mann ist gestorben“, unglücklich sah sie ihre Freundin an.

„Und was passierte dann?“

„Mmhmm, ich weiß nicht, ich hab die Augen ganz feste zugekniffen und mir die Ohren zugehalten.“ Alleine der Gedanke an die Geräusche, die das Monster von sich gegeben hatte, sorgten dafür das ihr eine Gänsehaut über die Arme lief und sie sich schütteln musste.

Tali wiegte nur den Kopf. „Egal was passierte, es war nur ein Film. So was gibt es doch nicht in Wirklichkeit. Mensch Mia, Tante Ziva wird immer dicker weil sie ein Baby bekommt“, dabei schnalzte sie über Mias Unwissenheit mit der Zunge, dann kramte sie in ihrer Hosentaschen und fand zwischen drei Büroklammern ein kaum benutztes Taschentuch, das sie ihrer Freundin entgegen hielt.

Dankbar nahm Milena das leicht verschmutzte Tuch entgegen und schnäuzte lautstark ihre Nase. „Das haben sie mir auch gesagt, aber ich glaub ihnen nicht“, flüsterte sie wieder. Dabei sah sie ängstlich über ihre Schulter, als erwarte sie einen Geist zu sehen.

Verwirrt folgte Taljah ihrem Blick und sah sich um, doch eine Gefahr konnte sie nicht erkennen. Plötzlich kam ihr eine Idee. „Ich hole mal kurz Rocky, ihm wirst du doch glauben, oder?“ Als Milena nickte machte sie sich auf den Weg und kam kurz darauf mit dem Jungen im Schlepptau wieder.

„Hallo Milena, ich hab gehört du glaubst nicht daran, dass deine Mommy ein Baby bekommt?“, fragte er sie sofort und rückte mit einer Hand seine kleine Krawatte hoch, die seine Mom ihn heute gezwungen hatte umzubinden.

Wieder schüttelte Milena den Kopf. „Nein Rocky, aber ich glaube an Monster“, sagte sie wieder flüsternd, als wenn das laute Aussprechen die Monster sichtbar machen würde.

„Jetzt pass mal auf, Monster gibt es nicht, aber Babys gibt es überall. Oder hast du schon mal ein Monster gesehen?“

„Nein“, kam es seltsam schüchtern von der Kleinen, die allgemein als Nervensäge bekannt war. „Aber jeder weiß doch, dass sie im Schrank und unter dem Bett wohnen. Und das sie kleine böse Kinder in der Nacht holen. Vielleicht ist ja so ein Wesen in Mommy gerutscht und jetzt wo Daddy schon so lange weg ist, ist keiner da der das wieder rausholen kann.“

Rocky hatte ihr die ganze Zeit aufmerksam zugehört und dabei mit dem Kinderstethoskop das er um den Hals hängen hatte, gespielt. „Ohhh jeee, dein Daddy ist immer noch nicht wieder da?“

„Ööööhhh, öööhhhh“, machte sie und zog unter größter Dramatik die Nase hoch.

„Siehst du, das ist es“, sagte Rocky wichtigtuerisch. „Genau das ist dein Problem. Du willst deinen Daddy zurückhaben und darum erfindest du Geschichten. Weißt du, ich kannte mal jemanden in meiner Krabbelgruppe, der hatte auch immer solche….aber egal, das ist schon lange her. Das was du siehst, das sind alles nur Ausgeburten deiner Fantasie“, teilte er ihr mit und schaute über seine Schulter, ob er irgendwo den kleinen Tommy entdecken konnte. „Es gibt keine Monster. Deine Mommy ist einfach nur schwanger“, kam es bestimmend von ihm. „ Komm wir fragen mal kurz Tommy. Der hat doch gerade ein Schwesterchen bekommen.“

Tommy saß mit Sabby in der Malecke und sah seiner Freundin beim zeichnen zu. Die Geschwindigkeit mit der die kleine schwarzhaarige den Pinsel über das Papier führte und dabei auch noch mehr als nur Striche oder Kleckse produzierte, ließ auf ein großes Talent hindeuten, wenn sie nicht für alles die gleiche Farbe genommen hätte. So sah ihr Gemälde einfach nur Schwarz aus.

„Oh je“, sagte Mia. „Was malst du denn da schreckliches?“

Sabby hielt in der Bewegung inne und ihre kleinen Rattenschwänze, die gerade noch so lustig im Takt gewippt hatten, legten sich auf ihre Schultern. Schreckliches? Was war denn an ihrem Bild schrecklich? Verstört sah sie Mia an. „Was ist denn an meiner Landschaft schrecklich?“ Dabei nahm sie ihr Bild hoch und drehte es in der Hand hin und her. „Da sind Blumen und Gras und da hinten, schleicht eine Katze durch das Gebüsch.“

„Wo?“, fragte nun auch Tali, jetzt war ihr Interesse geweckt. Sie hatte selber ein Kätzchen und liebte alles was mit diesen Tieren zusammenhing. Angestrengt schaute sie sich Sabbys Gemälde an, konnte aber beim besten Willen keine Unterschiede feststellen.

„Ja wo?" kam es jetzt auch von Mia.

Sabby sah von einer Freundin zur nächsten, dann schüttelte sie langsam und bedächtig mit dem Kopf. „Na da“, sagte sie und zeigte mit dem Finger auf einen Punkt des Bildes.

Rocky sah sie an und lächelte. „Ja, das sieht man auch ganz klar und deutlich“, sagte er und erntete dafür ein zufriedenes Grinsen von der kleinen Künstlerin, während sich die anderen beiden Mädchen fragend ansahen.

„Tommy“, sagte Rocky. „Erklär doch mal Mia wie es so ist, ein großer Bruder zu sein.“

Der kleine Junge, der die ganze Zeit nur bewundernd zu seiner Freundin und ihrem Bild geschaut hatte, sah nun auf und kratzte sich am Kopf. „Doof, sie nimmt mir alles weg und alles dreht sich nur noch um das schreiende Monster“, war alles was der Junge dazu sagte.

Mia warf Tali einen Blick zu, dann flüstere sie wieder. „Siehst du, ein Monster.“

„Wer, wer, wer, ich liebe Babys. Wer ist schwanger?“, fragte Sabby in die Runde.

Taljah sah sie an und deutete auf Mia. „Ihre Mommy, aber Mia will es nicht glauben. Sie denkt sie bekommt ein Monster.“

„Quatsch, quatsch, quatsch...“, sagte Sabby, hüpfte aufgeregt in die Leseecke und suchte zwischen den ganzen Büchern ein Bestimmtes. Als sie es gefunden hatte, klappte sie es auf und zeigte Mia einen Querschnitt einer schwangeren Frau. „Siehst du, so schön sieht das aus.“

„Aber warum ist es denn da drin?“, fragte Mia, ganz die Tochter ihres Vaters.

„Das ist wie mit den Eiern“, warf Taljah ein. „Die muss man auch erst kochen um sie essen zu können.“

Milenas Augen wurden riesengroß und kreisrund. Entsetzt wich sie einen Schritt vom Tisch zurück. „Ich will das Monster aber nicht essen. Ich mag Pancakes viel lieber“.

„Oh Gott“, entwich es Rocky. Wo würde dieses Gespräch noch hinführen, doch bevor er etwas sagen konnte, griff Sabby wieder den Faden auf.

„Nein du Dummchen, du sollst es doch nicht essen, wenn es gar ist, kommt es raus und du kannst mit ihm spielen. Das ist doch toll, oder?“

Milena war skeptisch, aber spielen war super und die Bilder waren echt schön. „ Wie kommt das Baby denn in den Bauch?“, fragte sie Sabby.

Diese blätterte in dem Buch vor und zurück, zuckte letztendlich mit den Schultern. „Das steht hier nicht. Keine Ahnung.“

„Das ist doch klar, das liegt am Klapperstorch. Der legt das Ei in den Bauch und wenn es soweit ist, dann schlüpft das Baby heraus“, sagte Tommy wichtigtuerisch.

„Du meinst also ich werde auch ein großer Bruder? Und es kommt kein Monster?“

„Natürlich nicht“, sagte Rocky. „Und noch einmal, es gibt keine Monster!“

„Ich werde Bruder, das ist ja klasse, kein Monster. Juchhhuuuuuu, ich werde Bruder...“, rief Milena und hüpfte im Takt ihrer Worte, so das ihr rosa Röckchen sich um ihre Oberschenkel bauschte. „Jetzt brauch ich nicht mehr alleine Filme schauen.“ Es war das erste Mal seit Tagen, das sie sich wieder richtig gut fühlte. Plötzlich bekam sie von hinten einen Klaps geben den Kopf. „Aua“, rief sie aufgebracht. Sie brauchte sich gar nicht umsehen, sie wusste auch so wer sie geschlagen hatte. „Diggs, was hab ich gemacht?“

„Du kannst nicht Bruder werden, du bist ein Mädchen. Mädchen werden Schwestern.“

Mia rieb sich den schmerzenden Hinterkopf. „Na dann eben Schwester. Aber meine Gummibärchen kriegt das kleine Monster nicht“, sagte die mit einem Lächeln und alle stimmten in ihr Lachen ein.


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