DER ZERSTÜCKELTE WEIHNACHTSMANN

Lichterglanz spiegelte sich in den Scheiben und ein Duft nach warmen Plätzchen hing in der Luft. Tannengrün war festlich auf der Fensterbank angebracht, dazwischen kleine Birnchen und aus Pfeifenreiniger gebastelte Engelchen schwebten darüber. Im Hintergrund hörte man Weihnachtsmusik und Kinderstimmen sangen leise dazu. In der rechten Ecke stand ein riesiger Weihnachtsbaum, über und über mit Engelhaar bedeckt und mit bunten Kugeln geschmückt. Vor drei Stunden hatte es zu schneien angefangen und den ganzen Außenbereich des NCIS Kindergarten in eine weiße Winterwelt verwandelt.

Milena DiNozzo stand mit strahlenden Augen im Spielbereich und bestaunte einmal mehr die Verwandlung, die über Nacht den Kindergarten in eine weihnachtliche Märchenwelt verwandelt hatte. Bedächtig senkte sie den Kopf und streckte vorsichtig ihren Zeigefinger nach dem kleinen Pfeifenreiniger Engelchen aus, fast als hätte sie Angst, dieses zu verjagen. Ihr Pferdeschwanz, den sie heute wie ihre Mommy trug, wippte dabei zur Seite. Angespannt hielt sie die Luft an. Alles um sie herum glitzerte und blinkte und roch nach Weihnachten und.......

„Milena DiNozzo“, gellte da ein Ruf durch den Raum.

Ertappt zog sie ihre Finger wieder an sich und drehte sich schnell zu Miss Cumberland, ihre ständig nörgelnde und doch recht nette Erzieherin um. Diese stand, mit einem Ofentablett mit frisch ausgestochenen Plätzchen in den Händen, an der Tür und sah sie strafend an.

„Was habe ich vorhin gesagt? Ihr sollt die Finger von der Elektrik lassen. Sonst müssen wir das wieder abbauen. Haben wir uns verstanden?“

Mia nickte das ihr Pferdeschwanz nur so im Takt mit wippte. „Nicht abbauen, bitte, es ist wunderschön.“

„Dann behalte auch die Finger bei dir.“ Dieses Kind würde sie noch einmal ins Grab bringen. Nie konnte sie hören und immer wollte sie ihren Willen durchsetzen.

Mit diesen Gedanken drehte sie sich um und ging wieder zur Küche, wo fünf kleine Mädchen und zwei Jungen, über und über mit Mehl bestäubt, auf sie warteten. Während Miss Cumberland weiter Teig rührte und dabei kleine Hände ihr halfen, dachte sie beschwingt an die morgige Weihnachtsfeier. Den ganzen Abend hatte sie zusammen mit den anderen Erziehern und der Leitung den Kindergarten festlich geschmückt. Zusammen mit dem Gärtner hatten sie den Weihnachtsbaum eingestielt und die Tannenzweige auf den Fensterbänken verteilt. Jetzt wurden die Plätzchen gebacken und morgen würde es die Bescherung geben und jedes Kind würde ein kleines Geschenk erhalten. Irgendwie konnte sie ja die Kinder verstehen, denn auch sie war aufgeregt und in weihnachtlicher Vorfreude. Der größte Höhepunkt würde aber ein riesengroßer Schockoladen-Weihnachtsmann sein, in etwa ein Meter groß, den sie extra bei einer hiesigen Konditorei in Auftrag gegeben hatte und der heute Abend noch geliefert werden würde.

„Miss Cumberland“, riss die schrille Stimme der kleinen Lisa sie aus den Gedanken. „Die Plätzchen verbrennen!“

Aufgeregt nahm sie einen Lappen und riss die Ofentür auf, um in der aller letzten Sekunde die Plätzchen zu retten. Sie sollte sich besser konzentrieren, schließlich brachte es ja nichts, wenn sie in Gedanken die Hälfte der Arbeit vernichtete.

**********


In freudiger Erwartung auf die bevorstehende Feier hopste Mia durch den Raum auf der Suche nach ihrer Freundin Taljah. Es dauerte einige Zeit, aber dann entdeckte sie sie in der Leseecke, vertieft in ein Bilderbuch über Engel sitzen.

„Hey Tali, schau doch nur wie schön es hier aussieht. Alles blinkt und blitzt. Ich liebe diese Zeit einfach soooo sehr.“ Begeistert klatschte Mia dabei in die Hände und gebärdete sich dabei fast so auffallend wie ihre gemeinsame Freundin Sabby.

Taljah aber sah nur gelangweilt zu ihrer Freundin hoch. „Du findest diesen Kitsch tatsächlich schön? Das meinst du doch nicht ernst?“ Doch eigentlich wusste sie sehr genau, dass Mia das nur allzu ehrlich meinte.

„Doch!“, verteidigte Mia ihre Aussage. „Warum denn auch nicht? Es ist schließlich Weihnachten, das Fest der Freude. Mensch Tali, morgen gibt es Geschenke. Und dann beginnen die Ferien, wir werden jeden Tag lange schlafen können. Und Daddy hat auch frei und Mommy ja sowieso. Das wird einfach nur wunderschön.“

Die kleine Israeli konnte dem nicht so ganz zustimmen. Ihre Mommy musste nämlich zwischen den Feiertagen arbeiten und da der Kindergarten geschlossen war, würde sie mit ins Büro müssen. Das würde nicht wirklich spannend und erst recht nicht wunderschön werden. Außerdem waren sie Juden und feierten gar kein Weihnachten. Was sollte sie also an dem ganzen Kitsch hier schön finden. Blumen waren schön, Marienkäfer auch. Ihre Katze war schön, aber dieses Weihnachten?

„MIA“, ertönte in dem Moment ein durchdringender Ruf und ließ Taljah ein kurzes Lächeln über ihr Gesicht huschen.

Als Sabby mit ihren Rollschuhen um die Ecke flitzte, nutzte Taljah die Gelegenheit, um Mia zu entkommen, schlug das Buch zu und stand schnell auf.

„Ich bin mal kurz bei Diggs“, sagte sie und ließ Mia und ihre Freundin Sabby alleine.

Sabby sah verwirrt dem kleinen Lockenkopf hinterher. „Was ist denn mit der los? Hat sie schlechte Laune?“ Gerade so kam sie vor Mia zum Stehen und hielt sich an deren Schultern fest. Ihre Zöpfe hatte sie heute mit lustigen Totenkopfhaarspangen verziert und auf ihrem T-Shirt prangte ebenso ein riesiger Totenkopf mit einem pinken Heiligenschein.

„Keine Ahnung“, Mia rümpfte die Nase. „Sie ist schon den ganzen Morgen so. Sie sagt, ihr ist eine Maus über die Leber gelaufen.“

Beide Mädchen fingen an zu lachen und es dauerte eine Zeitlang bis Abby sich endlich wieder fing. „Sie meint sicherlich die Laus, oder?“

„Klaro“, bestätigte die kleine DiNozzo. „Aber wenn ich sie noch verbessert hätte, hätte sie mich sicherlich mit ihrer Klammer gepiekst oder mir den Arm verdreht. Das hab ich besser sein gelassen.“

„Mmh“ Endlich ließ das Mädchen Mias Schulter los und mit einem lauten Seufzer ließ sie sich auf die Knie plumpsen. „So macht Weihnachten keinen Spaß. An Weihnachten sollen doch alle glücklich und fröhlich sein. Es gibt Geschenke, ganz viel Plätzchen, Schokolade, es wird gesungen. Alles ist schön geschmückt. Wo ist ihr Problem?“ Während sie vor sich hin murmelte, rieb sie sich überlegend die Nase. „Vielleicht können wir sie mit Schlittenfahren aufheitern. Was meinst du? Rocky könnte sie fragen, dann fällt es nicht auf, dass wir den Plan geschmiedet haben.“

„Auja“, rief Mia begeistert. „Lass uns gleich los.“

**********

Auf der Such nach Diggs kam Taljah an der Küche vorbei und wagte einen kurzen Blick. Es war ein Bild für die Götter. Tommy studierte soeben das Plätzchenrezept, das Miss Cumberland an den Geschirrschrank geklebt hatte. Mehlverschmiert zählte der Junge soeben, wie viele Tassen Zucker er für die nächste Teigportion brauchte. Konzentriert knabberte er dabei an seiner Unterlippe und man sah ihm deutlich an, dass ihm bereits das Wasser im Mund zusammenlief. Zum Glück hatte Tali das Backangebot schon hinter sich gebracht, gestern hatte man sie nämlich dazu verdonnert und sie hatte schnell feststellen können, dass das Eieraufschlagen nicht gerade ihre Stärke war. ‚Taljah‘, dröhnte noch immer die Stimme von Miss Smith in ihren Ohren, ‚das sind zerbrechliche Eier, da musst du schon ein wenig mehr Gefühl zeigen‘. Pah, sie wollte aber keine Gefühle zeigen, schon gar nicht Eiern gegenüber. Wo war sie hier denn nur gelandet? Es war ihr erstes Weihnachten in Amerika und inzwischen fühlte sie sich ja eigentlich auch ganz wohl. Aber eine gewisse Sehnsucht machte sich schon hin und wieder in ihr breit, und gerade jetzt, wo jeder von Familie redete, fühlte sie sich häufig fehl am Platz.

„He“, unbemerkt von Tali war Rocky neben ihr aufgetaucht und tippte ihr auf die Schulter. „Wir wollen draußen rodeln, kommst du mit?

„Mmmh“, noch völlig in Gedanken versunken, nickte Tali schließlich. Draußen an der frischen Luft roch es wenigstens nicht nach diesem süßen, klebrigen Kinderpunsch. Sie wünschte sich so sehr den üblichen Pfefferminztee zurück und dieser Lebkuchen, der seit gestern auf den Tischen stand, würde sie am liebsten gegen Bananen und Äpfel austauschen. Sie war hier einfach fehl am Platz.

*****

Eine halbe Stunde später stand Tali, dick eingemummelt mit Wollschal, Mütze und Fausthandschuhen am Rodelberg. Neben hier hippelte Mia umher und jammerte ihr seit geraumer Zeit die Ohren voll.

„brrr“, kam es ständig von der rechten Seite und Tali hatte bereits aufgehört zuzuhören.

„Mir ist so kalt. Warum friert es dich nicht, du kommst doch aus der Wüste.“

Taljah verdrehte die Augen. „Weil ich Thermounterwäsche trage“, antwortete sie knapp und schenkte ihrer Freundin ein mitleidiges Lächeln. „Die gibt es aber leider nicht in rosa, deswegen kannst du keine haben.“

*****


„Schneller, schneller“, quiekte Sabby, als sie auf dem Schlitten hinter Rocky sitzend, den Hügel hinunter sauste und viel zu schnell war die Fahrt schon wieder vorbei.

„Der Schnee ist heute einfach herrlich“, kam es von Rocky, als er ganz Gentleman like der kleinen Schwarzhaarigen vom Schlitten half.

„Können wir das gleich noch einmal machen?“, fragte Sabby und sah ihn bittend an.

„Ich denke jetzt sind erst die anderen dran. Sieh, da kommt schon der Schlitten mit Tommy und Diggs.“

Tommys Herz flatterte wie ein Fähnchen im Wind. Leichte Übelkeit machte sich in ihm breit, während er sich an Diggs klammerte, der in bekannt rasanter Weise den Hügel hinunterfuhr. Er hätte es wissen müssen. Das war ja mal wieder klar. Warum musste das Los auch nur auf ihn fallen? Dabei hatte er doch den schwächsten Magen von allen. Als ein kleiner Huckel dafür sorgte, dass der Schlitten kurz in die Luft abhob, schloss Tommy seine Augen ganz fest und betete zu dem lieben Gott.

„Bitte, bitte, ich will noch nicht sterben. Wie soll ich das denn auch meiner Mommy klar machen?“ Doch genauso schnell wie der Schlitten die Haftung verloren hatte, war er auch wieder im Schnee gelandet und die wilde Fahrt ging weiter.

Die Sekunden zogen sich für den kleinen Angsthasen zu Stunden. Da er die Augen immer noch fest geschlossen hielt, bekam er fast nicht mit, dass sie das Ziel schon erreicht hatten. Schnell, aber mit wackligen Knien stand er auf und ließ sich neben dem Schlitten in den Schnee fallen. Sabbys Bitten und Flehen nach einer erneuten Fahrt lauschte er nur mit halben Ohren. Seine ganze Konzentration war auf seinen Magen gerichtet.

„Komm da mal ein Stück weg“, sagte Diggs und grinste ihn an.

Als Tommy nur nickte, aber keine Anstalten machte seinem Rat zu folgen, deutete Diggs mit dem Kopf Richtung Hügel. „Wenn du da so liegen bleibst, dann erwischen dich die beiden Mädels“, sagte der Anführer der Kidsgang und brachte sich in Sicherheit.

*****


„Du musst nach da lenken“, rief Mia gegen den Fahrtwind an.

„WAS?“, rief Tali zurück.

„Nach daahaa“, schrie die Kleine wieder.

„Nach wo?“, kam es ungehalten von vorne.

Oh je, dachte sich Mia. Wir sind viel zu schnell und von der Piste abgekommen. Das wird weh tun. „Nach da“, schrie sie noch einmal und deutete in die genannte Richtung, doch Taljah reagierte nicht.

Noch immer sauste der Schlitten gefährlich nah an den Büschen vorbei. Milenas kleine behandschuhte Hände klammerten sich in die Holzstreben des Gefährts. Jetzt merkte auch Tali ihren Fehler. Beherzt zog sie an der Halteleine des Bobs, doch eine Fahrtrichtungsänderung konnte sie nicht mehr bewirken. Mia bekam es langsam mit der Angst zu tun. Sie war noch viel zu jung zum Sterben, schoss es ihr durch den Kopf, als auch schon die ersten Zweige ihren Weg kreuzten.

„Du bringst uns um“, schrie sie Tali zu und zog ihren Kopf zwischen die Schultern.

„Quatsch“, kam es von der Israeli.

Ach ne, dachte sich Mia. Jetzt kann sie mich also verstehen? Na das, wird sie noch büßen. Wütend kniff sie die Augenbrauen zusammen.

„Die Bäume Taljah, die Bäume kommen“, kam es fast panisch von hinten.

„Ich seh sie, wenn ich jetzt sage, dann lässt du dich zur Seite fallen. Hörst du?“, schrie sie ihr zu.

„J E T Z T“, rief Tali und ließ sich im selben Moment vom Schlitten fallen.

„WAS?“, schrie Mia und sauste mit dem Schlitten ungebremst in die Büsche.

Taljah lag lachend im Schnee. „Das hat Spaß gemacht Mia, oder?“, sagte sie und sah sich noch ihrer Freundin um.

„Mia? MIA?“, rief sie und kam rasch wieder auf die Beine. Wo war sie nur? Sie sollte sich doch fallen lassen. Als sie sie nirgends erblicken konnte, folgte sie rennend der Schlittenspur. Dieser hatte sich ungebremst durch die Sträucher gebohrt. Auf Händen und Füssen krabbelte sie durch das Loch und fand ihre Freundin unbeweglich, neben dem Schlitten liegend. Rocky und die andern waren ihr still gefolgt, doch jetzt konnte sie Sabbys Klagen hören. „Oh mein Gott, oh mein Gott, das ist ja schrecklich. Mia ist tot. Oh mein Gott.“ Rocky hatte der verstörten Kleinen einen Arm um die Schultern gelegt und streichelte ihr tröstend die Hand.

Talis Herz setzte kurz aus, als sie ihre Freundin da liegen sah. Das durfte einfach nicht sein. „Mia?“, fragte sie vorsichtig und zog sich Milenas Kopf auf die Knie. „Mia bitte, du darfst nicht tot sein. Ich könnte das nicht ertragen“, sagte sie leise und ein paar Tränen liefen ihr trotz der Kälte die Wangen herunter.

Milena indessen konnte vor Lachen kaum noch an sich halten. Das würde Tali sicherlich eine Lehre sein. Da war sie sich sicher.

„Milena, bitte wach wieder auf. Ich wollte das nicht“, kam es zögerlich von der kleinen Israeli. „Ich hab dich doch lieb. Du darfst nicht sterben.“

„Wer und wann hier einer stirbt, das bestimme immer noch ich“, sagte Diggs in dem Moment und stellte sich neben Mia und Tali.

„Milena DiNozzo, ich zähl jetzt bis drei und dann bist du wieder auf den Füßen oder ich wasch dich mit Schnee. EINS, ZWEI....“

Weiter brauchte er nicht zählen, da Mia schon mit einem triumphierenden Lachen aufsprang und quiekend das Weite suchte.

Tali sah ihr böse hinterher. „Na warte, das wirst du noch bereuen.“ Sofort machte sie sich an die Verfolgung und im nu war eine herrliche Schneeballschlacht im Gange.

**********

Verschlafen rieb sich Hausmeister Bob über die Augen. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass es gerade erst 2 Uhr Nachts war. Was hatte ihn aufgeweckt? Schlaftrunken sah er sich um, doch seine Frau neben ihm stieß im tiefsten Schlaf leise Schnarchtöne aus. Plötzlich hörte er ein Geräusch. SCHRING, SCHRING, SCHRING. Gespannt richtete er alle Sinne danach aus. War das der Grund warum er aufgewacht war? Doch jetzt war es wieder ruhig. Hatte er sich das alles nur eingebildet? Unruhe stieg in ihm hoch. Was, wenn in den Kindergarten eingebrochen wurde? Zu stehlen gab es dort zwar so gut wie nichts, aber Vandalismus war schlimm genug. Und da war auch das Geräusch wieder. SCHRING, SCHRING, SCHRING. Ein stetes hohes Klatschen, das über die Heizungsrohre hallte. Leise, um seine Frau nicht zu wecken, zog er seine Beine aus dem Bett und stand langsam auf. Beim quietschen der Bettfedern hielt er kurz inne und schaute zu seiner Frau, doch diese schlief seelenruhig weiter. Schnell zog er sich das Nachthemd, das ihm bis zur Taille hoch gerutscht war herunter und griff zu Morgenmantel und Hausschuhen.

Kurze Zeit später, stand er in den Räumen des Kindergartens. In der einen Hand einen Baseballschläger, in der anderen eine Taschenlampe. Noch immer war das Geräusch zu hören. SCHRING, SCHRING, SCHRING. Immer dreimal hinter einander, niemals mehr. Ob jemand versuchte durch die Fenstergitter im Untergeschoss zu dringen?

Langsam ging er dem Geräusch nach. Seine Finger umschlossen den Baseballschläger so fest, dass seine Knöchel weiß hervor traten. Seine Sinne waren aufs äußerte gespannt. Als er mit der Schulter ein tief hängendes Mobile streifte, blieb ihm vor Schreck beinah das Herz stehen. SCHRING, SCHRING, SCHRING. Das Geräusch kam einwandfrei aus der kleinen Küche. Kurz kam im zu Bewusstsein, das dort gar kein vergittertes Fenster war, aber die Aufregung tat ihr übriges und blockierte alle logischen Gedankengänge. Auf Zehenspitzen schlich er sich an die Tür. Mit dem Rücken zur Zarge stand er mit erhobenem Baseballschläger und wartete auf den richtigen Moment. SCHRING, SCHRING, SCHRING. Ein Ruck ging durch seinen Körper, als er sich mit einem Schrei auf den Lippen umdrehte und in den Raum stürmte…


Doch kaum hatte er die Küche betreten, blieb er auch schon verwundert stehen. Denn auf dem Boden vor der Heizung saß ein rosafarbenes, batteriebetriebenes Häschen das lustig im Takt trommelte. SCHRING, SCHRING, SCHRING. Da waren sie wieder, die Geräusche. Irgendein Kind musste wohl vergessen haben, den Hasen auszustellen. Wütend über sich, dass er sich von so einem Spielzeug hatte Angst einjagen lassen, ging er schnell auf das Bunny zu. Im selben Augenblick spürte er, wie er Fahrt aufnahm und die Bodenhaltung verlor. Sein Morgenmantel blähte sich auf, während Bob mit den Armen ruderte und so irgendwie versuchte das Gleichgewicht wiederzufinden. Als die Küchenzeile in Sicht kam, griff er zu, erfasste etwas hartes, das ihn aber nicht bremsen konnte, sondern das er nur mit sich reißen konnte. Sein Nachthemd rutschte wieder hoch, während Bob einen ungewollten Spagat hinlegte und mit viel Getöse auf dem Boden landete.

„Ufffffff“, machte er und sah kurz Sterne als der Schmerz sich durch sein Steißbein fraß. Als sein Blick sich wieder klärte, sah er den Grund. „Rollschuh“, entfuhr es ihm genervt und er schnappte sich das Korpus Delikti und steckte ihn in seine Manteltasche. Das war garantiert wieder die kleine Schwarzhaarige gewesen. Wütend rappelte er sich wieder auf. Sie wusste doch, dass Rollschuh fahren in den Räumen nicht erlaubt war. Warum griffen auch die Erzieherinnen bei dem Mädchen nie durch und zur Krönung des Ganzen ließ das Gör auch einfach noch einen Rollschuh hier im Dunkeln herum liegen. Mit jedem Gramm Adrenalin, das aus seinem Körper verschwand, spürte er mehr Schmerzen in seinem Gesäß. In halb gebückter Haltung blieb er stehen. Was wenn er sich etwas gebrochen hätte und jetzt hier hilflos auf dem Boden liegen müsste? Unter Stöhnen richtete er sich nun komplett auf und sah zum ersten Mal die Bescherung, die seine unfreiwillige Fahrt verursacht hatte.

Auf dem Boden lagen Backzutaten, Töpfe, Rührschüsseln und ….. ihm stockte der Atem. Der große Schokoladen-Weihnachtsmann, den die Kindergartenleitung extra bei dem ortsansässigen Konditor bestellt hatte, lag in tausend Teilen zerbrochen dazwischen und machte die Tragödie komplett. Schwankend musste er sich kurz an der Küchenzeile festhalten. Oh Gott, er konnte sich kaum bewegen. Er würde das Chaos morgen früh aufräumen müssen, morgen, wenn er geschlafen hätte. Morgen, wenn die Schmerzen nicht mehr so groß waren. Mit verzerrtem Gesicht bückte er sich noch einmal nach dem Häschen und drückte den Ausschalter, dann schlurfte er mit leisen Wehlauten zurück in die obere Etage, wo sein Bett auf ihn wartete.

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Mia stand mit klappernden Zähnen vor der verschlossenen Eingangstür. Tony, liebevoll eine Hand auf die Schulter seiner Tochter gelegt, versuchte gerade Gibbs am Telefon davon zu überzeugen, dass er in wenigen Minuten im Büro erscheinen würde. „Ja, wir sind zu früh dran, aber Miss Cumberland kommt sicher gleich“, auch wenn die Worte nicht für Mia gedacht waren, schenkte er seiner Tochter ein aufmunterndes Lächeln.

„Miirrrrr ist kalt“, empört steckte sie ihre Hände, gekleidet in weiß-rosa Hello-Kitty-Handschuhe, in die Jackentasche. „Wo bleibt nur Miss Cumberland?“

„Ich komm ja schon“, fröhlich lächelnd bog die Erzieherin um die Ecke. Die Vorfreude auf das heutige Weihnachtsfest mit den Kindern stand ihr ins Gesicht geschrieben. Es würde sicherlich ein wunderbarer Tag werden und die Kinderaugen würden leuchte, wenn sie ihnen den riesigen Weihnachtsmann aus Schockolade präsentierte. Für solche Momente liebte sie ihre Arbeit, die nervenaufreibenden Tage gerieten dadurch schnell in Vergessenheit.

„Mia, du kannst mir helfen. Und dein Papa kann dafür schon gehen, oder?“ Während Tony sofort dankbar nickte, schüttelte Mia entsetzt den Kopf.

„Ich kann nicht helfen“, Mias Gesicht verfinsterte sich. „Meine Finger sind schon abgefroren.“

Tony konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, beugte sich vor, um seiner Tochter einen Abschiedskuss auf die Stirn zu geben und wuschelte ihr durch´s Haar. Nach stundenlanger Diskussion zuhause, hatte Mia ihren Kopf durchgesetzt und hatte das Haus ohne wärmende Kopfbedeckung verlassen. Die rosafarbenen Ohrenschützer, die sie von der Haushälterin ihres Großvaters damals geschenkt bekam, hingen sorgfältig am Haken und mussten laut Mia absolut geschont werden. Und Mützen kamen für Mia nicht in Frage, die zerstörten die Frisur.

„Nun, wenn ich auf deine Hilfe verzichten muss, kann es natürlich auch keinen leckeren Lebkuchen zum Weihnachtsfest geben.“ Miss Cumberland hob die Augenbrauen und hielt Mia auffordernd eine Tragetasche unter die Nase. Grummelnd nahm das Kind die Hände aus den Taschen und „half“ mit. Auf Lebkuchen wollte sie eben nicht verzichten.

*****


Es war jetzt bereits die fünfte Tüte, die Mia aus dem Auto in den Kindergarten schleppen musste. Insgeheim schmiedete sie Rachepläne gegen Ziva, die sie mal wieder viel zu früh geweckt hatte, nie wieder wollte sie die Erste im Kindergarten sein, das uferte tatsächlich in Arbeit aus. Wo blieb bloß Tali, oder Diggs? Die Zwei waren doch sonst auch immer so früh hier. Aber ausgerechnet heut ließen DIE sich natürlich Zeit.

Ein letztes Mal fiel die Eingangstür hinter ihnen ins Schloss. „Bring die Tasche doch schon mal in die Küche“, rief Miss Cumberland von weitem. „Ich stell die hier nur noch schnell im Büro ab.“ Rücklings öffnete sie die Tür und tastete gerade im Dunkeln nach dem Lichtschalter, als sie erschrocken die Einkaufstüten auf den Boden fallen ließ. „Verdammt“, stieß sie hervor. Mia war auf dem Weg in die Küche … in der Küche stand der Weihnachtsmann … wenn das Kind ihn entdeckte ….

„Mia“, hallte der entsetzte Schrei durch den Flur und so schnell ihre Füße sie tragen wollten, rannte sie über den Linoleumfußboden. „Stopp … MILENA …. NEIN!“ …. Doch es war bereits zu spät. Die kleine DiNozzo stand mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen im Türrahmen und konnte ihren Blick nicht abwenden.

Miss Cumberland, nur noch wenige Meter entfernt, seufzte laut auf und fluchte ungehalten vor sich hin. Die ganze Überraschung war hinüber. Eine schreckliche Enttäuschung breitete sich in ihr aus, die ganze Arbeit … alles umsonst. Vollkommen in ihren Gedanken versunken, ließ sie sich auf die niedrige Garderobenbank nieder und stützte ihr Gesicht in die Hände, es war einfach zum heulen. Warum ausgerechnet Milena DiNozzo, sie würde es sicherlich nicht für sich behalten können.

„Aber ich …“ Mia biss sich verzweifelt auf die Lippen. „… ehrlich…“, jammerte sie leise, „…. ich ….ich war …. das wirklich …nicht.“ Sie bedachte ihre Erzieherin mit einem unsicheren Blick und fügte dann abschließend mit überzeugterer Stimme hinzu: „Ehrlich!“

Zögernd hob Miss Cumberland den Kopf, wovon sprach die kleine DiNozzo da eigentlich? „Was?“, stammelte sie leise und blickte dem Kind entgegen.

„Ich hab den Weihnachtsmann nicht zerstört“, Mia schüttelte traurig den Kopf und zeigte mit ihrem Finger in die Küche. „Und das war ich auch nicht.“ Kleine Tränchen bildeten sich in Mias grünen Augen und sie spitzte ihre zitternde Unterlippe. Es sah fast so aus als würde sie jeden Moment losheulen.

Verwundert über Mias Verhalten stand die Erzieherin auf. Und als sie selbst einen Blick in die Küche geworfen hatte, entwich ihr jegliche Farbe aus dem Gesicht, kreidebleich und einem Schockzustand nahe, schlug sie die Hände vor dem Gesicht zusammen. Die Küche glich einem Schlachtfeld. Sämtliche Backzutaten waren auf dem Boden verteilt, das Mehl, der Zucker und sogar die dekorativen Zuckerperlen und Schokoladenraspeln – nichts, aber rein gar nichts stand mehr auf seinem Platz. Und in mitten des ganzen Backchaos lag er – ZERSTÜCKELT !! – der WEIHNACHTSMANN !!

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Als wenig später die restlichen Kinder im weihnachtlich geschmückten Kindergarten eintrafen, hörte man aus der Küche nur ein kontinuierliches Fluchen einer sichtlich genervten Miss Cumberland.
Als erstes gesellte sich Diggs zu Milena, die sich im Schneidersitz zwischen der Türzarge niedergelassen hatte und mit trüben, traurigen Augen dem Geschehen folgte.

„Was ist passiert?“, flüsterte der größere Junge und ließ sich neben seiner Freundin auf die Knie fallen. „Wenn möglich eine Kurzzusammenfassung“, fügte er noch schnell hinzu, als er Mias Gesichtsausdruck erspähen konnte und die dicken Tränen in den Augen sah, die sich unweigerlich bildeten. Das war einer jener Momente, in denen Mia anfing zu reden, und dann redete und redete und … bis man sie an den Schultern packte und kräftig schütteln musste. Vorbeugung war also besser, deshalb wiederholte er vorsichtshalber nochmals: „KURZfassung“.

Mia zog leicht beleidigt die tropfende Nase hoch und zuckte ausgeprägt mit den Schultern. „Der Tathergang ist nicht bekannt. Aber die Küche sieht aus als hätte ein Sturm darin gewütet.“ Sie neigte sich zu Diggs und wisperte in sein Ohr. „In der Mitte liegt was, das aussieht wie ein riesen Schokoweihnachtsmann …. nur kaputt.“

„Das muss heute Nacht passiert sein“, zögerlich trat nun Rocky zu den beiden Kindern. Ein wenig gelangweilt hatte er die Hände in den tiefen Taschen seiner Jeans-Latzhose versenkt, doch beim Anblick des Tatorts funkelte es auch in seinen Augen. „Wow“, stieß er hervor. „Das war gestern Abend wirklich noch nicht.“

„Woher willst du das wissen?“, Diggs rümpfte die Nase und musterte den Jungen eindringlich.

„Nun, ich war der Letzte mit Miss Smith“, seine traurige Stimme konnte er nicht verbergen und er blickte in die fragenden Augen seiner Freunde. „Wisst ihr damals als ich im Ferienlage war und es draußen langsam dunkel wurde, da“, abrupt hielt er inne, als er Diggs strafenden Blick aufnahm und schulterzuckend lächelte er den beiden entgegen. „Meine Mummy hat gestern Abend mal wieder vergessen mich abzuholen.“

Während Diggs seinem Freund tröstend auf die Schulter klopfte, hörten sie bereits die eilenden Schritte ihrer aufgedrehten Freundin. Mia zog vorsichtshalber ihre Beine noch ein Stückchen näher an ihren Körper. „Lasst mich durch, lasst mich durch“, hörten sie die schrille, immer näher kommende Stimme. Doch gerade als sich Sabby an ihren Freunden vorbeizwängen wollte, stoppte sie eine drohende Stimme aus der Küche.

„Halt!“ Postwendend erstarrte Sabby bei diesem Wort, nur um eine Minisekunde später mit einem frechen Grinsen im Gesicht weiter zu rennen. Eine Sabby konnte man nicht aufhalten. Niemand konnte sie aufhalten, keiner …. außer …„Niemand betritt die Küche!“
Im Türrahmen erschien Miss Cumberland und versperrte Sabby nicht nur den Weg, sondern auch die Sicht. Doch das lebhafte Kind war unermüdlich und versuchte dennoch an der Erzieherin vorbei einen Blick auf das Chaos zu erhaschen. Schließlich war sie neugierig, denn im Kindergarten hatte es sich schnell herumgesprochen, dass etwas „Merkwürdiges“ in der Küche passiert war. Jemand hatte sogar etwas von Geistern und kleinen Monstern erzählt. Das konnte sich Sabby doch nicht entgehen lassen.

„Haben sie schon Fußabdrücke genommen?“, aufgeregt sprang sie nun vor der Erzieherin auf und ab und krallte ihre schwarzlackierten Fingernägel in den weißen Blusenärmel der Erwachsenen. „Sind Abdrücke von kleinen Monstern zu erkennen. Im Mehl? …Miss Cumberland… im Mehl findet man sicherlich eine gute Spur. Oder waren es wirklich Geister? Dann findet man natürlich keine Fußspuren, die schweben schließlich über den Boden, aber die können auch keine Gegenstände berühren, wie sollen sie also die ganzen Zutaten auf den Boden werfen. Sind meine Plätzchen, die ich gebackt habe, auch runtergefallen… Menno… Miss Cumberland…. Lassen sie mich endlich durch.“

Miss Cumberland schaute verdutzt und leicht amüsiert an sich herunter. Sie kannte ihre quirlige Sabby ja allzu gut, aber heute war sie wirklich extrem süß. In ihrem Redeschwall hüpfte sie aufgebracht vor ihr auf und nieder, ihre Augen funkelten wie kleine Diamanten und ihre Rattenzöpfe wippten im Takt mit. Schnell packte sie das Mädchen unter den Achseln und hob sie hoch, so konnte Sabby wenigstens keinen größeren Schaden mehr anrichten. Von weitem zeigte sie dem Kind das Chaos.

„Da“, schrie Sabby plötzlich und zappelte so wild, dass die Erzieherin sie beinahe hätte fallen lassen, hätte sie sie nicht wieder auf den Boden gelassen. Natürlich nutzte das flinke Wiesel diesen Umstand aus und entkam der weiteren Umarmung. „Diggs, Fußabdrücke …“, schrie sie aus dem Inneren der Küche, während Miss Cumberland noch immer versuchte, die Lage zu verarbeiten. „…groß… vermutlich von einem Mann“, schlussfolgerte Sabby. Miss Cumberland runzelte die Stirn, jetzt war es eh zu spät noch weiter einzugreifen, Sabby war bereits mit einem leichten Mehlstaub bedeckt und krabbelte aufgeregt auf dem Boden umher. „…nur einer…“

Tommy, der inzwischen mit Taljah ebenfalls vor der Tür stand und mit kritischem Blick das Geschehen verfolgte, hob überlegend den Zeigefinger in die Höhe. „Große Fußspuren … das kann doch nur der Weihnachtsmann gewesen sein.“

In diesem Augenblick waren alle Augenpaare auf den kleinen Jungen gerichtet, der nun sichtlich in sich zusammensackte und den Kopf zwischen die Schultern presste. Er stand nicht sehr gerne im Mittelpunkt.

„Der Weihnachtsmann?“ Mias Augen öffneten sich weit, diese Tatsache hatte sie tatsächlich noch nicht bedacht.

„Mmmh, das wäre eine Erklärung … ausschließen können wir es jedenfalls noch nicht“, ergänzte Diggs und stemmte die Arme in die Seite.

Miss Cumberland schaute erfreut von einem Jungen zum anderen, ein geheimnisvolles Lächeln stahl sich dabei auf ihr Gesicht, das man immer dann erblicken konnte, wenn sie Geheimnisse vor den Kindern hatte. Doch dann blieb ihr Blick an Tali haften, deren Augen plötzlich sehr finster wurden.

„Es gibt gar keinen Weihnachtsmann, genauso wenig wie es einen Osterhasen gibt“, grummelte die kleine Israeli und rempelte im Weggehen Tommy absichtlich gegen die Schulter. „Ihr spinnt doch alle“, hörte man sie noch aus der Ferne motzen.

Mia, Diggs, Rocky, Tommy und auch Miss Cumberland sahen dem Mädchen verwirrt und aufgewühlt hinterher. Niemand achtete mehr auf Sabby.

„Hallo?“, Sabby erschien im Türrahmen und blinzelte in die Runde. Doch das vor wenigen Minuten noch vollkommen aufgekratzte Mädchen war mit einem Mal ziemlich still und nachdenklich. Tommy kniff die Augen zusammen, mit seiner Freundin stimmte etwas ganz und gar nicht. Sie erschien ihm kreidebleich und er konnte nicht einschätzen ob das Weiß einfach nur vom Mehlstaub kam, oder ob Sabby gerade wirklich ein Gespenst gesehen hatte.

„Da gibt´s nix weiter“, stammelte Sabby und drückte sich an den anderen vorbei. Sofort war Mia auf den Beinen und folgte, genauso wie der Rest der Truppe, schweigend und beinahe einträchtig ihrer Freundin.

Erst als sie um die Ecke bogen und somit aus den wachenden Augen Miss Cumberlands, hielt Diggs die kleine Schwarzhaarige an ihrem Ärmel fest. „He, was ist los? Was hast du entdeckt?“
„Nix“, Sabby schüttelte ängstlich den Kopf.

„Raus mit der Sprache. Sonst kriegst du keinen Multivitaminsaft mehr bis du in die Schule kommst“, drohte Diggs und kniff die Augen zusammen.

Sabby biss sich auf die Unterlippe, schien noch einen Moment zu überlegen und deutete dann ihren Freunden, näher zu kommen. Leise flüsterte sie: „Mein Rollschuh ist weg, der Weihnachtsmann ist bestimmt auf meinem Rollschuh ausgerutscht, den ich gestern vergessen habe wegzuräumen. Ich bin dran schuld. Wahrscheinlich fällt jetzt Weihnachten aus, weil der Weihnachtsmann sauer auf mich ist, jetzt krieg ich ganz bestimmt keine Geschenke…“ Tränen flossen über das zarte Kindergesicht.

**********


„Urrhhh“, machte es aus dem Bett, dann kehrte wieder Ruhe ein.
„Urrrhhhh“, erklang es kurze Zeit später wieder. Bob zog sich im Halbschlaf sein Kissen zurecht und die Decke über den Kopf. Die Sonne schien genau in sein Gesicht. Etwas benommen, versuchte er seine Position zu verändern und....“Arrrgggghhhh“, machte er und öffnete ruckartig die Augen. Was war passiert? Warum tat ihm der Rücken so weh? Mit schmerzverzerrtem Gesicht versuchte er sich im Bett aufzusetzen. Ließ es aber mit einem erneuten Wehlaut bleiben.

Plötzlich fiel ihm alles wieder ein. Sein nächtlicher Ausflug zum Kindergarten, sein Flug, der Fall, das Chaos und......der WEIHNACHTSMANN......Schlagartig setzte er sich im Bett auf und stieß einen kleinen Schrei aus als sein lädiertes Steißbein auf der harten Matratze landete. Benommen fuhr er sich über die feuchte Stirn. Wie spät war es eigentlich? Wenn die Sonne schien, musste es schon später sein, oder? Sein Blick zum Wecker bestätigte seine Annahme. Ja es war schon später und definitiv zu spät. Während er mit zusammengebissenen Zähnen versuchte aus dem Bett zu klettern, erschien seine Frau Susan in Zimmer.

„Was machst du da?“, fragte sie ihn mit besorgtem Blick.
„Ich muss doch noch zum Konditor und einen neuen Schokomann bestellen“, erwiderte er und zog die Luft scharf zwischen seinen Zähnen ein.
„DU gehst heute nirgendwo hin. DU bleibst im Bett. Ich klär das“, teilte sie ihm mit und schob ihn zurück auf sein Lager.

Als er kurze Zeit später wieder flach auf den Rücken lag und sein Steißbein entlasten konnte, atmete er erleichtert auf. Dankbar dafür, das Susan sich der Angelegenheit annahm. Er hoffe nur dass der Konditor es auch noch bis heute Nachmittag schaffen würde, einen neuen Schokoladenweihnachtsmann XXL zu produzieren. Ansonsten würde er in jede Menge unglücklicher Kinderaugen blicken müssen und mit einem resignierten Seufzer schloss er die Augen.

*****


Mia eilte auf der Suche nach ihrer Freundin Tali durch den Kindergarten, doch wie am Tag zuvor konnte sie das Mädchen mit der schlechten Laune nirgendwo entdecken. Dabei musste sie doch endlich mit ihr sprechen. So ging es einfach nicht mehr weiter. Diese Stänkerei, diese miese Laune, diese traurigen Augen. Unbewusst zog Mia ihre Unterlippe zwischen die Zähne. Sie musste endlich heraus finden, was Taljah so Sorgen machte. Schnell warf sie einen Blick in die Kuschelecke … leer, ihre suchenden Augen wanderten von der Bauecke über den Knettisch bis hin zur Malecke, aber hierher kam die kleine Israeli eigentlich nur sehr selten. Sie wollte schon wieder gehen, als sie in der hintersten Ecke unter dem Maltisch eine Bewegung wahrnahm. Neugierig kam sie näher, ließ sich unsanft auf die Knie fallen und spähte unter den Tisch, der seitlich durch die Tischdecke verdeckt wurde.

„Tali? Warum sitzt du denn unter dem Tisch?“, fragte Mia mit zur Seite geneigtem Kopf und sah ihre Freundin fragend an.

Taljah unterdessen rollte mit den Augen. „Eigentlich damit du mich nicht findest“, antwortete sie grummelnd.

Mia zuckte mit den Schultern. „Ich bin kriminalastig, oder so ähnlich, vorbelastet. Ich finde alles. Aber wenn du willst, kann ich auch wieder gehen“, sagte sie und wollte gerade aufstehen, als sie Talis leichte Berührung auf ihrem Arm spürte.

„Nein, bleib“, sagte sie und fügte etwas leiser hinzu: „Jetzt wo du schon mal da bist.“

Milena krabbelte auf Händen und Füßen unter den Tisch. Ihr kurzes Rüschenröckchen, das sie zur Feier des Tages trug, rutsche ihr über den Po hoch, aber das bemerkte sie kaum. Mit einen lauten ‚Plumps‘ ließ sie sich neben Tali auf den Boden nieder. „Willst du mir nicht erzählen, warum du dich nicht auf Weihnachten freuen kannst?“, fragte die Kleine sofort.

Taljah zog ihre Nase hoch und sah ihre Freundin mit traurigen Augen an. „Weißt du, zu Hause feiern wie Chanukka und keine Weihnachten.“

„Das ist doch nur ein anderer Name. Ist doch nicht schlimm.“

„Nein. Chanukka ist ganz anders. Das wird acht Nächte lang gefeiert. In den Fenstern stehen dann die achtarmigen Leuchter und nach und nach wird jede Kerze angezündet. Oma backt für jeden Abend Honigkuchen oder Dattelplätzchen und man bekommt an jedem Abend eine Kleinigkeit geschenkt.“

„Okay“, sagte Mia und rieb sich die Nase. Man sah ihr deutlich an, dass sie inzwischen angestrengt nachdachte. „Mhhhmmm, mit acht Tagen kann ich dir nicht dienen, aber mit Plätzchen und Lichtern in den Fenstern schon. Und Geschenke bekommst du auch, nur halt nicht acht Tage lang“, kam es von ihr und ihre Hand spielte mit der Rüsche ihres Rockes. „Aber vielleicht doch. Denn es kommen dann ja alle Tanten und Onkel und bringen Geschenke. Vielleicht kommen wir dann doch auf acht Tage.“ Stolz über ihre Kombinationsgabe grinste sie ihre Freundin an.

„Ja“, machte diese leise. „Aber hier muss meine Mami arbeiten. Zuhause hätte sie frei, weil da alle frei haben. Und meine Großmutter backt den Honigkuchen für sich alleine, sicherlich ist sie traurig, dass ich ihn nicht essen kann. Tanten und Onkel sind ja nett, aber eine Großmutter ist einfach netter.“

Jetzt verstand Milena Talis Bedenken. Das war ihr Problem. Sie vermisste ihre Großmutter, ihre altes Zuhause und was am schlimmsten war, ihre Mommy musste über die Feiertage arbeiten. „Und wo bist du in der Zeit?“, wollte sie daraufhin naseweis wissen.

„Ich muss mit ins Büro.“ Wieder zog sie schniefend die Nase hoch und wischte sich mit dem Pulliärmel darüber.

Mia rutschte ein Stückchen näher und nahm Tali etwas ungeschickt in die Arme. „Nicht traurig sein. Dann kommst du halt zu uns. Du musst nicht mit ins Büro. Du kannst die Weihnachtstage auch bei uns verbringen.“ Freudestrahlend sah sie sie an. „Das wird wunderbar werden. Mommy backt mit uns Plätzchen und wir können zusammen mit Daddy den Weihnachtsbaum schmücken. Das wird bestimmt toll.“

„Meinst du?“ Ein kurzes Lächeln huschte über das Gesicht des Lockenkopfes.

„Klar, du bleibst doch sonst auch immer mal wieder bei uns. Warum dann diesmal nicht?“, in ihren Worten war kein Anflug von Zweifel zu hören. „Und dann spypern wir.“

„Wir machen was?“ Mit einem Seitenblick musterte sie ihre stressige Freundin.

„Na wir spypern, das hat Onkel Timmy uns auf dem Computer instatiert, damit ich mit meinem Grandpa reden kann und ihn gleichzeitig im Fernsehen sehe. Das machen wir mit deiner Granny dann auch. Dann ist sie sicherlich auch glücklich.“

Langsam und vorsichtig löste sich Taljah aus Mia Umarmung. Zu viel Nähe war ihr immer etwas zuwider. Doch als sie ihrer Freundin nun in die grünen, strahlend lachenden Augen sah, konnte auch Tali nicht mehr anders und so stimmte auch sie mit in ihr Lachen ein.


********



Steif, müde und wie in verprügelter Hund betrat Hausmeister Bob den Kindergarten. Nachdem der Arzt ihm eine Spritze in seinen Allerwertesten gegeben hatte, waren die Schmerzen erträglich geworden und jetzt ein paar Stunden später, war er auch wieder fähig sich zu bewegen. Trotzdem waren seine Schritte schlurfend, als er den Kindergartenbereich betrat.

Seine Frau hatte heute Morgen schon mit der Leitung gesprochen und sein Missgeschick vom Abend aufgeklärt. Jetzt war sie unterwegs, den neubestellten Schokoweihnachtsmann vom Konditor abzuholen. Dieser hatte ihr heute Früh versprochen sein Kunstwerk noch einmal nachzuarbeiten. Sie konnten nur hoffen, dass die Schokolade auch rechtzeitig trocken werden würde.

Für ihn kam jetzt der schwerste Punkt des Tages. Sein Geständnis vor den Kindern. Langsam nickte er Miss Cumberland zu und diese nickte lächelnd zurück. „Kinder, Kinder, kommt alle einmal zusammen. Mister Bob hat euch etwas mitzuteilen.“

Gerade noch lärmende Kinder hörten mit dem spielen auf, Malstifte fielen aus kleinen bunten Händen, Puppen wurden mehr oder weniger lieblos fallen gelassen. Im Nu hatte sich um den reumütigen Hausmeister eine kleine Menschentraube gebildet und erwartungsvolle Augen sahen ihn an. Alle waren sie da, die schüchterne Ruth, die wilde Sabby mit ihren lustigen Zöpfen, die rothaarige Susan, der pummlige Tommy, der naseweise Diggs, Rocky mit einem Lupenglas in den Händen und das doppelte Lottchen. Jedenfalls war das der geheime Name den Bob dem Zweigestirn gegeben hatte. Milena und Taljah. Aber auch die anderen Kinder, deren Namen ihm nicht so geläufig waren, waren gekommen.

Bob schluckte schwer und setzte sich mit einem Ächzten auf einen der kleinen Stühle, damit er den Kindern auf Augenhöhe war, dann räusperte er sich tief.

„Ich... ich habe euch etwas zu sagen“, kam es aus seinem Mund und neugierige Kinderaugen blickten ihn an. „Das mit dem Schokoladen-Weihnachtsmann, das...“, wieder schluckte er.

„Jaaaa?“, kam es von Diggs und dieser hatte sich genau vor ihm aufgebaut. „Was willst du uns sagen, Mister Bob?“

Schlagartig fühlte sich der Hausmeister wie in einem Verhör und stotternd fuhr er fort. „Ich... ich....“

Diggs kam immer näher. Mittlerweile berührte seine Nase fast die von Bob. „Ja?“

Bob fuhr sich mit einer zitternden Hand über die Stirn. Sein Herzschlag beschleunigte sich und das Atmen fiel ihm immer schwerer. Der Kleine hatte eine Art an sich, die ihm hin und wieder eine Gänsehaut bescherte.

„Du wirst dich besser fühlen wenn du es uns endlich sagst“, kam es da von der kleinen frechen DiNozzo, die sich nun hinter den Anführer der Kindergang gestellt hatte und ihn aus großen grünen Augen anlächelte.

Das machte das Ganze für Bob nicht einfacher. Er kam sich vor wie im Fernsehen. Der Gute und der böse Cop. Wo hatten die Kinder das nur her?

„Kinder, Kinder“, sagte er und wollte von dem Stuhl, auf dem er nur schlecht sitzen konnte, aufstehen.

„Sitzen bleiben“, zischte Diggs ihm zu.

„Also wirklich, es ist nicht so wie ihr denkt, ich....“ Doch weiter kam er nicht, da eine kleine Jungenfaust wütend auf den Tisch schlug.

„Mister Bob, du sagst uns jetzt, was letzte Nacht hier passiert ist, oder...“, flüsterte im Diggs ins Ohr.

Bob schluckte schwer. „Oder...?“, fragte er leise.

„Oder ich erzähle allen Kinder - und wenn ich ALLEN sage, dann meine ich auch allen - das du der Osterhase bist.“ Diggs hatte den letzten Teil des Satzes so leise gesagt, das selbst Bob ihn nur mit Mühe verstehen konnte, aber die Drohung saß. Er war für sein Leben gerne der Osterhase und hatte jedes Mal einen heiden Spaß, wenn die kleinen Kinder, allen voran die naseweise Milena, sich an seinen Ostereiern erfreuten.

Zerknirscht sah er in die Runde und nickte. „Ich bin Nachts von einem Geräusch geweckt worden und dachte es könnten sich vielleicht Einbrecher im Kindergarten befinden.“

„Huuuhhh ist das spannend“, kam es von Sabby und sie spielte dabei mit einem ihrer Zöpfe.

„Unterbrech ihn nicht, Sabby“, sagte Diggs streng und deutete mit dem Finger auf Bob. „Weiter“, forderte er.

„Als ich die Küche betrat, waren da keine Verbrecher, aber ich bin aus Versehen auf einen einzelnen Rollschuh getreten und böse gestürzt. Dabei muss ich irgendwie den Schokoladenmann und die Plätzchen herunter gerissen haben“, sagte er traurig, griff in seine Jackentasche und zog das Corpus Delikti als Beweis hervor. Als Diggs es ihm aus den Fingern nahm und langsam in seinen Händen drehte, legte Mr. Bob den Kopf in beide Hände. Als er eine kleine Hand auf seiner Schulter spürte, blickte er wieder auf und sah in Rocky Augen.

„Es war also nicht alleine deine Schuld“, sagte der kleine Junge und blinzelte zu Sabby, die sich schon ganz klein gemacht hatte.

„Oh, ich....“, traurig sah sie in die Runde. „Ich erinnere mich, ich hatte nur noch eine Hand frei und musste mich entscheiden. Rollschuh, oder Mulitvitaminsaftflasche. Ich...“, stotterte sie herum und kleine Tränen bildeten sich erneut in ihren Augenwinkeln.

„Also wirklich Sabby“, kam es von Diggs streng. „Du und deine Sucht. Für heute keinen Saft mehr, verstanden?“

„Mhmm, dann wäre das ja erledigt, obwohl Mr. Bob, was waren es denn jetzt eigentlich für Geräusche, die dich geweckt haben?“, bohrte Diggs weiter. Sein strenger Blick hielt immer noch die kleine Sabby gefangen, die sich in Tommys Arme geflüchtet hatte und seinen Pulli nass weinte.

„Ach ja, das Geräusch. Da war so ein kleines rosarotes Plüschhäschen, das lustig vor sich hin trommelte.“

Kaum hatte Bob geendet, erstarrte Milena zur Salzsäule und alle sahen sie an. Ohne dass ein einziges Wort gesagt wurde, wussten sofort alle Bescheid.

Mias Augen wurden kreisrund. „Ich...“, stammelte sie. „Dann bin ich ja auch schuld. Ich hab mein Häschen in der Küche vergessen.“ Traurig ließ sie sich auf ihre weiß bestrumpften Knie fallen, so dass ihr kurzes Röckchen wieder hochrutschte. „ich bin schuld.“ Verständnislos sah sie die anderen Kinder an, die ihr böse Blicke zuwarfen. Plötzlich spürte sie neben sich eine Bewegung, dann wurde sie von Sabby in den Arm genommen. „Wir waren es alle drei. Du musst nicht alleine traurig sein.“

„Na kommt schon her!“, sagte Diggs und hielt den beiden Mädchen eine Hand hin um ihnen aufzuhelfen. „Lasst es euch eine Lehre sein.“

„Und eigentlich..“, mischte sich Tommy ein, der irgendwie das Gefühl hatte seine Freundin Sabby aufzuheitern. „… ist Miss Cumberland an dem Chaos Schuld. Wer lässt denn auch die ganzen Backzutaten so rumliegen, dass man alles runterschmeißen kann. Vor allem so einen wertvollen Schokoweihnachtsmann. Daran hätte sie denken müssen.“

„Da hast du recht“, grinste Tali, die Mia diesen kleinen Dämpfer schon gönnte, aber sofort Mitleid mit ihr hatte. Doch dann drehte sie sich spontan zu Rocky um und sah ihn mit finsterem Blick an. „Aber du“, sie hob ihren Zeigefinger und tippte feste gegen die Schulter des Jungen, „…du hättest den Rollschuh ja noch wegräumen können. Du warst am längsten da. Du bist also auch schuld.“

Milena lachte plötzlich auf und wartete bis alle sich zu ihr umdrehten, erst dann zuckte sie unbewusst mit den Schultern. Ihr zuvor betrübtes Kindergesicht war verschwunden. „Ich habe den rosa Hasen nur dort stehen lassen, weil Tommy mich gerufen hat und …“

„Aber ich …“, sofort nahm Tommy eine Verteidigungshaltung ein und legte besorgte Falten in sein Gesicht. „…sollte dich doch nur rufen, Diggs hat gesagt: SOFORT.“

Sabby rümpfte die Nase, legte den Kopf schief und überlegte eine Weile. Dann fragte sie mit leiser Stimme: „Sind wir wohl alle dran schuld?“, danach brach sie in lautes Gelächter aus, auch Mr. Bob lachte, Diggs grunzte und Rocky schmunzelte. Mia hatte bereits dicke Lachtränen in den Augen und Tommy musste sogar husten.

Nur Tali, von ihr war kein Laut zu hören, lächelte glücklich in die Runde. Das waren Freunde und solche Freunde hatte sie nur hier. Nur hier konnte sie wirklich glücklich sein. Stolz stemmte sie die Arme in die Hüften. „Nur ich, ich bin nicht schuld“, sprach sie, als die Geräusche abnahmen.

„Doch“, murmelte Mia und fing wieder an zu lachen. „Du hast mir den Hasen geschenkt.“

Mr. Bob, der sich vor Lachen den Bauch und vor Schmerzen den Rücken hielt, holte tief Luft. „Na das nenn ich mal eine Verkettung von unglücklichen Umständen.“

 

 

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Der weitere Tagesablauf erwies sich als ruhiger, angenehmer Nachmittag. Das Mittagessen war vorbei, die Praktikantin hatte eine schöne und besinnliche Weihnachtsgeschichte vorgelesen. Ein paar Kinder lagen auf den kleinen Matratzen und schliefen, andere kuschelten unter dicken Wolldecken. Es war absolut ruhig. Nur aus dem Nebenzimmer hörte man Tische und Stühle schieben, redeten die Erzieherinnen leise und Geschirr klapperte. In einer Stunde wurden die Eltern, Großeltern und Freunde des Kindergartens zur gemütlichen Weihnachtsfeier erwartet. Mia war schon ganz schrecklich aufgeregt und es fiel ihr schwer ruhig auf der Matratze zu liegen. Vor Nervosität hatte sie drei Finger in den Mund gesteckt und lutschte an ihnen herum.
„Du machst das schon“, flüsterte ihr Tali zu und grinste sie an. Mia war immer so aufgeregt, wenn sie vor den Eltern etwas vorspielen musste und meist redete sie vor solchen Auftritten wie ein kleiner Wassersturz. ‚Mmm nein – Wasserfall‘, verbesserte sie sich in Gedanken selbst. Im Gegensatz zu Mia war sie die Ruhe selbst. Ihre Rolle war aber auch ganz klitzeklein und eigentlich musste sie nichts weiter tun, als mit ihren Flügeln zu schlagen und einen Satz zu sagen. Mia hatte es da weitaus schwerer, aber eigentlich war sie selbst dran schuld, hätte sie sich mal nicht so in den Vordergrund gespielt, dann hätte sie nicht die Hauptrolle erwischt. Aber Miss Cumberland fand die Wortschöpfung Mia Maria so süß und … jetzt war es sowieso zu spät. Seit Tagen hatten sie den Text gelernt, eine Theaterprobe nach der anderen absolviert und der Auftritt kam in riesigen Schritten näher.

*****


Eine geschlagene Stunde später lag schwerer Duft von Plätzchen und Lebkuchen in der Luft. Alle Kinder saßen in ihren Kostümen in einem großen Stuhlkreis und die Erzieherinnen verteilten warmen Kakao oder Kinderpunsch. Da es draußen nun schon fast dunkel war, brannten auch alle Kerzen und Lichterketten Die Kinder kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Leise hörte man im Hintergrund Weihnachtsmusik. Alles war besinnlich und beschaulich.

Doch im Büro der Kindergartenleitung, war von der Ruhe nichts zu spüren. Miss Cumberland und Bob warteten auf dessen Frau. Würde sie es noch rechtzeitig schaffen. Gleich kamen die ersten Gäste. Bis dahin musste der Schokoladen Weihnachtsmann da sein, oder er würde für dieses Jahr nicht mehr gebraucht. Unruhig lief die Erzieherin zum wiederholten Male ans Fenster und spähte in die aufsteigende Dunkelheit.

„Meinen sie wir sollten ihre Frau einmal anrufen?“, fragte die Miss Cumberland und sah den alten Hausmeister erwartungsfreudig an.

„Sie hat kein Handy“, erwiderte Bob und stand mit einem Ächzen vom Stuhl auf, sah auf seine Uhr und stellte sich neben die Erzieherin ans Fenster. Langsam wurde es wirklich Zeit, dachte er sich und genau in dem Moment kam seine Frau um die Ecke, mit einem riesigen Paket unter dem Arm.

„Da kommt sie ja.“

„Ja und wie es scheint, hat alles geklappt“, antwortete er mit einem Grinsen im Gesicht.


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Miss Cumberland atmete tief durch. Ihr Blick huschte stolz durch das weihnachtliche Zimmer, auf dem runden Tisch in der Mitte stand der große Schokoweihnachtsmann, leise Stimmen dröhnten an ihr Ohr. Es war ein gemütliches Beisammensein, die Eltern und Großeltern unterhielten sich angeregt über die Theatervorstellung ihrer kleinen Lieblinge, tranken Kaffee und aßen die selbstgebackenen Plätzchen. So hatte sie es sich vorgestellt.

Selbst die Vorführung wäre beinahe gelungen. Mia war eine traumhafte kleine Maria gewesen, Puppe ein grandioses Christkind. Tommy sah als Josef zwar ein wenig verloren neben den Beiden aus, dennoch hatte er seinen Text fehlerfrei und laut vorgesprochen. Tali sah einfach nur himmlich aus, in ihrem weißen Rüschenkleid und den weiten Flügeln. Man hatte sogar das Gefühl, als fühle sie sich wohl in diesen Kleidern und hin und wieder lächelte das sonst so ernste Kind sogar. Bei ihrem Auftritt als Engel, der die Geburt des Christkinds verkündete, sah sie jedenfalls sehr glücklich aus. Diggs, Rocky und Jonny waren liebevolle drei Könige gewesen. Sehr stilvoll jedenfalls. Diggs war etwas wortkarg, aber das kompensierte Rocky mit links. Jonny tat, was man ihm sagte. Einfach perfekt. Nur Sabby war … nun ja, eine kleine Sensation. Als kleines Schaf sollte sie eigentlich nur in der Nähe des Stalls neben dem Hirten stehen, doch das Mädchen war so hippelig, dass das Schaf ständig vor dem Stall auf und ab lief und statt einem leisen ‚Mäh‘ war ein stetiges Kichern zu hören.

Die Kinder waren zufrieden, die Eltern waren zufrieden. In den Gesichtern stand der pure Stolz, nachdem andere Kinder Weihnachtsgedichte aufsagten und von zarten Kinderstimmen ‚Stille Nacht‘ gesungen wurde. Jeder hatte seine kleine Aufgabe zum Fest bestens erfüllt.

In der hintersten Reihe saß Mr. Bob, noch immer von Schmerzen gebeutelt, mit seiner Frau. Doch auch sie sahen mehr als zufrieden aus. Sah es doch am Morgen noch nach einem chaotischen Tag aus, so wurden sie jetzt vom Gegenteil überzeugt. Mr. Bob musste grinsen, als ihm die Worte der kleinen Mia wieder in den Sinn kamen. Nachdem sie die Schuldigkeit aller geklärt hatten und die Kinder wieder zum Spielen übergangen waren, war die Kleine zu ihm getreten und hatte ihm ins Ohr geflüstert: „Danke Mr.Bob … jetzt haben wir zwei Schokoweihnachtsmänner zum Essen.“ Dieses Kind war eine reine Sensation.

*****


Miss Cumberland ging eine Tür weiter und blickte nun auf die Kindergruppe, die dort noch immer, mehr oder weniger, im gemütlichen Stuhlkreis beieinander saßen.

„Oh“, kam es von Mia, die sich gerade wieder auf ihren Stuhl setzte. Dabei schwankte sie leicht, da sie sich gerade noch im Kreis gedreht hatte. „Das Spiel ist lustig. Mach doch mit“, sagte sie bittend zu ihrer Freundin.

Tali zog das Kinn kraus. „Ich weiß nicht.“ Solche Spiele waren eigentlich nichts für sie. Anfassen und angefasst werden, sich im Kreis drehen, umarmen, Küsschen geben, das war alles Mädchenkram und das lag Taljah nicht wirklich. Auch nicht in diesem weißen Kleid. Sie freute sich schon auf den Moment, in dem sie sich endlich wieder umziehen durfte.

„Tali, Tali, Tali“, erklang in dem Moment Sabby aufgeregte Stimme und auch sie kam wankend auf die beiden anderen Mädchen zu. „Puh ist mir schwindelig“, sagte sie und hatte zur Stabilisierung ihre Arme ausgestreckt, drehte sich aber immer noch im Kreis.

Milena legte ihren Kopf schief. „Warum drehst du dich denn immer noch“, fragte sie.

„Das ist ein Experiment“, kam es von der kleinen quirligen Schwarzhaarigen.

„Und was expiridingst du da?“, fragte Mia wieder und legte ihre Stirn in Falten. Sie musste zwischen durch immer mal wieder ihr Augen schließen, weil ihr alleine von Sabbys Anblick schwindelig wurde.

„Ich prüfe, wie lange ich mich im Kreis drehen kann ohne …......upps......“, machte sie und landete plötzlich mit ihrem Po auf dem Boden.

Sofort ließen sich ihre beiden Freundinnen neben sie auf die Knie nieder.

„Alles okay?“, fragte nun auch Taljah besorgt.

„Ja klar“, sagte Sabby und rappelte sich auf und fing bereits wieder an, sich zu drehen.

„Was ist das denn nun für ein Explidings?“, versuchte Milena noch einmal zu hinterfragen.

„EXPIREMENT“, belehrte sie die kleine Kreisdreherin, die schon wieder gewaltig schwankte. „Ich wollte nur herausfinden, wie lange ich brauche um …..upps...“ machte sie wieder und nur Diggs, der gerade zu den Mädchen stoßen, verhinderte das Sabby wieder auf den Boden fiel.

„Ich denke du hast für heute genug experimentiert“, teilte er ihr streng mit und drückte ihr einen Trinkhalmbecher in die Hand.

„Oh“, sagte sie und roch an dem Strohhalm. „Multivitaminsaft?“ Sie strahlte ihn dankend an. „Ich dachte ich darf heute keinen mehr.“

„Es ist Weihnachten“, kam es von dem Anführer der Gruppe grinsend und er zog Sabby in den einen Arm, die leicht protestierende Taljah in den anderen Arm und gab beiden Mädchen einen Kuss auf die Wange.

„Und ich?“, quiekte Mia empört los.

„Du bekommst von uns einen Kuss“, sagten in dem Moment Rocky und Tommy und gaben ihr zeitgleich ebenfalls einen Kuss auf jede Wange, was das Mädchen noch mehr strahlen ließ.

„Frohe Weihnachten“, hörte man die Kinder gleichzeitig sagen.

„Frohe Weihnachten“, flüsterte Miss Cumberland und fuhr sich mit dem Handrücken über die Wange. Eine einzelne Träne rann über ihr Gesicht. Ein wunderschöner Tag. Weihnachten.

- The End -

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